Thurner, M: Elfenzeit 18: Rache der Verbannten
fragte Alebin möglichst unverfänglich während einer Jagd auf Bet-Hasen, die, wie so oft, in einem Trinkgelage mündete.
»Wir wissen um ihre Bösartigkeit«, antwortete Ainfar, »und wir halten uns tunlichst von ihr fern, denn begreiflicherweise hasst sie uns noch mehr als dich und am meisten unsere Mütter. Vater stattet ihr von Zeit zu Zeit einen Besuch ab und versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Ihn schmerzt es, unseren kleinen Bruder Lothyncam in der Rolle des Idioten zu sehen. Bislang ist es ihm nicht gelungen, Koinosthea zu überreden, den Jungen freizugeben.«
»Und ich glaube auch nicht, dass er es jemals schaffen wird.« Regiatus seufzte und sorgte mit einem Fingertippen dafür, dass sich sein Trinkhorn von selbst mit rotem Rebensaft füllte. »Cernunnos ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Kraft verlässt ihn. Ich vermute, dass er bald von Fanmórs Hof gehen wird, um in der Einsamkeit seiner geliebten Wälder zu verholzen oder zu versteinern.«
Beide Halbbrüder schwiegen; Alebin tat es ihnen gleich. Er musste ihnen Betroffenheit vorheucheln, obwohl ihm die Rolle seines Vaters in diesem bösen Spiel einerlei war. Sein Interesse galt einzig und allein Koinosthea. Sie wollte er bestrafen, sie wollte er verletzen und ihr all das zurückzahlen, was sie ihm angetan hatte.
Er verbrachte lustige und mitunter lehrreiche Zeiten mit den Geschwistern, und er führte das eine oder andere Gespräch mit Cernunnos, bevor dieser auf Nimmerwiedersehen verschwand. Der alte Mann zeigte kaum Interesse an ihm. Es war ihm unangenehm, Alebin ins Gesicht zu blicken; offenbar wurde der Vater durch seinen Anblick an Koinosthea erinnert.
Nachdem er die höfischen Sitten gut genug begriffen hatte und nun wusste, wie die Mitglieder des Hochadels tickten, verließ Alebin den Hochsitz Earrachs und begab sich auf Reisen. Er nahm sich dafür alle Zeit der Welt. Von menschlicher Rastlosigkeit getrieben, erforschte er die Quellen des Namenlosen Grauens, durchwanderte die in Hochblüte stehenden Felder der Mörder-Blümchen und suchte und fand die Gelege der legendären Schnapp-Drosseln. Er erlebte amouröse Abenteuer und holte auf, was ihm während seiner Jugendjahre auf der Erde entgangen war.
Irgendwann hatte er sich die Hörner abgestoßen. Für eine Weile kehrte Ruhe in sein Leben ein, sodass er sich um die Vollendung seiner Ausbildung kümmern konnte. Angeheuerte Zauberer und Hilfsgötter weihten Alebin in Geheimnisse ein, die Merlin angedeutet, aber niemals vollumfänglich erläutert hatte. Forschend und experimentierend verbesserte der Elf seine magischen Fähigkeiten, wo und wann immer er konnte. Er lernte Liebe und Krieg von ihren bittersten Seiten kennen, und er erfuhr von der Schönheit des Betrugs.
Wie wirkte das Erbe Cernunnos’ eigentlich in ihm nach? Diese Frage stellte er sich oft.
War es etwa die innere Unruhe?
Manche seiner Wesenszüge waren die eines wilden, ungebändigten Tieres, und er verstand sich ausgezeichnet auf die Dressur von Hunden, Katzen und deren Mischabkömmlingen. Spinnen- und Schlangengeschöpfe gingen ihm tunlichst aus dem Weg; sie fürchteten seine Ausstrahlung.
Irgendwann fand Alebin zur Erkenntnis, dass es nicht seine körperlichen Fähigkeiten, sondern manch innerer Wert war, der an den Vater erinnerte. Sein strategisches Geschick reichte fast an jenes des Corviden Regiatus heran. Seine Eroberungskünste in der holden Frauenwelt machten ihn zum Hassobjekt aller gehörnten Ehemänner. Wo immer er auftauchte, herrschte bald großes Durcheinander. Er wurde geliebt und gehasst, man achtete und fürchtete ihn.
Doch leider, so musste er sich eingestehen, spiegelte er nicht nur die Eigenschaften seines edlen Vaters wider. Da waren auch Wesenszüge, die an die verbitterte Mutter erinnerten.
Irgendwann packte ihn wieder die Unruhe. Alebin meinte, diese erbärmliche Eintönigkeit im Reich der Elfen nicht mehr zu ertragen. Still und heimlich kehrte er durch eines der vielen offenen Tore zurück ins Reich der Menschen – um festzustellen, dass es auf deren Seite der Wirklichkeit nicht viel besser war.
»Es ist zum Verzweifeln!«, sagte er laut.
»Hm?« Die Frau – wie war doch gleich ihr Name? Gwynne? – seufzte laut und kuschelte sich enger an seinen Körper. »Lass uns weiterschlafen«, murmelte sie. »Die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen …« Sie trieb wieder weg, in einen Halbschlaf, um bald darauf leise zu schnarchen.
Alebin drängte sie beiseite, ohne sie zu wecken,
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