Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre
gebracht. Es war für Bowden.
Er wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Ja?« Er hob den Kopf und sah mich an. »Ja, ist sie. Wir sind gleich da. Danke.«
»Ist was passiert?«
»Es geht um Ihren Onkel und Ihre Tante. Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, aber … sie sind entführt worden!«
Als wir ankamen, standen mehrere Einsatzfahrzeuge von Polizei und SpecOps vor dem Haus meiner Mutter. Eine kleine Menschenmenge hatte sich versammelt und spähte über den Zaun. Die Dodos standen auf der anderen Seite, starrten zurück und fragten sich vermutlich, was das Theater zu bedeuten hatte. Ich zeigte dem diensthabenden Beamten meine Marke.
»LitAg?« sagte er verächtlich. »Da kann ich Sie leider nicht reinlassen, Ma’am. Nur Polizei und SpecOps-9.«
»Er ist mein Onkel …!« protestierte ich wütend, und der Beamte ließ mich widerstrebend durch. Das war in Swindon nicht anders als in London: Ein LitAg-Ausweis war in etwa soviel wert wie eine Busfahrkarte. Meine Mutter saß im Wohnzimmer inmitten einer Unmenge feuchter Papiertaschentücher. Ich hockte mich neben sie und fragte sie, was passiert sei.
Sie schneuzte sich geräuschvoll. »Um eins habe ich sie zum Essen gerufen. Es gab Würstchen, Mycrofts Leibgericht. Als sich nichts rührte, bin ich in die Werkstatt gegangen. Beide waren verschwunden, und das Tor stand sperrangelweit offen. Mycroft wäre niemals weggegangen, ohne mir etwas zu sagen.«
Sie hatte recht. Mycroft ging nur im äußersten Notfall aus dem Haus; seit er Owens in ein Baiser verwandelt hatte, erledigte Polly sämtliche Gänge für ihn.
»Ist was gestohlen worden?« erkundigte ich mich bei einem SpecOps-9-Agenten, der mich gleichgültig anstarrte. Er empfand es anscheinend als unter seiner Würde, die Fragen einer LitAg beantworten zu müssen.
»Wer weiß?« erwiderte er kühl. »Wenn ich recht verstehe, waren Sie noch vor kurzem in seiner Werkstatt?«
»Ja, gestern abend.«
»Dann können Sie sich ja vielleicht mal umsehen und uns sagen, ob etwas fehlt?«
Ich wurde in Mycrofts Werkstatt eskortiert. Die Tür war aufgebrochen worden, und der Tisch, auf dem die Bücherwürmer gestanden hatten, war leer; nur das dicke Starkstromkabel des Prosa-Portals war noch da. Das hatten die Täter zurücklassen müssen.
»Genau hier standen ein paar Gläser mit Würmern und ein großes Buch, das wie eine mittelalterliche Kirchenbibel aussah …«
»Können Sie’s uns vielleicht aufmalen?« fragte eine vertraute Stimme. Ich drehte mich um und entdeckte Jack Schitt, der im Schatten lauerte, eine dünne Zigarette rauchte und einem Goliath-Techniker zusah, der mit einem summenden Detektor den Fußboden absuchte.
»Nanu«, sagte ich, »wenn das mal nicht Jack Schitt ist. Seit wann interessiert Goliath sich für meinen Onkel?«
»Können Sie’s aufmalen?« wiederholte er.
Ich nickte, und einer der Goliath-Leute gab mir Bleistift und Papier.
Ich skizzierte grob, was ich gesehen hatte, die komplizierte Ansammlung von Reglern und Knöpfen auf dem Deckel des Buches und die schweren Messingbeschläge. Jack Schitt riß mir die Zeichnung aus der Hand und studierte sie eingehend, als ein zweiter Goliath-Techniker hereinkam. »Und?« fragte Schitt.
Der Agent grüßte zackig und zeigte Schitt zwei riesige, halbgeschmolzene Krokodilklemmen.
»Wie es scheint, hatte Professor Next seine Kabel persönlich an den Transformator hinter dem Nachbarhaus angeschlossen. Ich habe mit dem E-Werk gesprochen. Gestern am späten Abend gab es dreimal einen ungeklärten Spannungsabbau und Leistungsverluste von je eins Komma acht Megawatt.«
Jack Schitt wandte sich an mich. »Überlassen Sie das lieber uns, Miss Next«, sagte er. »Entführung und Diebstahl fallen wohl kaum in den Zuständigkeitsbereich der LitAgs.«
»Wer war das?« fragte ich, doch Schitt ließ sich nicht weiter beeindrucken – schon gar nicht von mir. Drohend hob er den Zeigefinger.
»Das ist unser Fall; wir halten Sie auf dem laufenden. Oder auch nicht. Je nachdem.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging aus der Tür.
»Es war Acheron, nicht wahr?« sagte ich langsam und bedächtig.
Schitt blieb schlagartig stehen und wirbelte zu mir herum.
»Acheron ist tot, Next. Auf der M4 in Ihrem Auto verbrannt.
Behalten Sie Ihre Theorien für sich, Mädchen. Sonst halten Sie die Leute am Ende noch für psychisch gestört.«
Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen verließ er die Werkstatt und ging zu seinem Wagen.
15. Guten Tag & auf
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