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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Wirtskörpers starb das Virus sehr schnell ab, ganz gleich, wie sorgsam man es behandelte. Sein Halbleben in einem anderen Wirtskörper war begrenzt, daher war man ständig auf Nachschub angewiesen. Und das bedeutete Wohlstand, solange der Winter herrschte.
    Aber der Sommerstern war bereits am Taghimmel sichtbar, der Frühling stand vor der Tür, und damit die Veränderung, und das mußten inzwischen sogar die Sommermenschen bemerkt haben. Die Welt strebte dem Hochsommer entgegen, der Zeit, wenn die unnatürlichen Belastungen der Annäherung an das Schwarze Loch die Energie der Zwillinge entfachten, wodurch es auf Tiamat unerträglich heiß wurde. Das Sommervolk würde gezwungen sein, sich von seiner Heimat in den äquatorialen Inseln zurückzuziehen und nach Norden zu wandern, das aber wiederum würde den Status quo des Wintervolkes über den Haufen werfen, wenn sie sich über das Land ergossen.
    Doch das war nur ein Teil der großen Veränderung, die über ihr Volk kommen würde. Denn die Annäherung der Zwillinge an das Schwarze Loch würde Tiamat für die Hegemonie zu einer verlorenen Welt machen ... Sie betrachtete wieder den Sternenhimmel jenseits des Fensters. Während sich die Zwillinge der Schwarzen Pforte näherten und deren anderer gequälter Gefangener, der Sommerstern, bereits am Himmel Tiamats sichtbar wurde, veränderte sich auch die Stabilität der Pforte selbst. Die Reise von Tiamat zur restlichen Hegemonie und zurück war nicht mehr einfach und sicher. Tiamat war nicht mehr länger Aufenthaltsort für Reisende der Hegemonie, und damit endete der Austausch des Wassers des Lebens und technologischen Wissens ebenfalls. Damit würde Tiamat zur verbotenen Welt werden, denn die Hegemonie ließ es nicht zu, daß eine hochentwickelte Basis errichtet wurde, und ohne grundlegendes Wissen, wie die importierten Güter hergestellt wurden, würde die Maschinerie der Wintergesellschaft unweigerlich und sehr bald verfallen. Auch ohne das Sommervolk, das nordwärts eilte, um sie noch zu verstärken, würde die Veränderung das Ende der Welt, wie sie sie kannte, bedeuten. Der bloße Gedanke an das Leben in so einer Welt stieß sie ab. Doch darum würde sie sich dann keine Gedanken mehr machen müssen, nicht wahr?
Sie sagen, der Tod ist das äußerste Gefühlserlebnis.
    Ihr Lachen hallte durch den leeren Raum. Ja, jetzt konnte sie noch über den Tod lachen, auch wenn sie ihm einhundertfünfzig Jahre lang den Tribut verweigert hatte. Er würde bald seine Forderungen geltend machen, und auch das Sommervolk würde beim nächsten, beim letzten Ball Zahlung fordern, das war der Lauf der Dinge. Aber sie würde zuletzt lachen. Beim letzten Ball, der nahezu eine Generation zurücklag, hatte sie unter dem ahnungslosen Sommervolk die neunfache Saat ihrer eigenen Auferstehung gesät: Neun Klone von ihr, die unter ihnen aufwuchsen und als ihr eigen von ihnen akzeptiert wurden, die ihre Lektionen lernen und – als ihre Geisteskinder – beizeiten erkennen würden, wie sie sie manipulieren konnten.
    Sie hatte während ihrer ganzen Entwicklung ständig ein Auge auf die Kinder gehabt, immer der festen Überzeugung, daß es eines unter ihnen gab, das zu all dem werden konnte, was sie jetzt war – und tatsächlich hatte es eines gegeben. Nur eines. Der Pessimismus des Doktors von den Außenwelten, den dieser vor fast zwanzig Jahren geäußert hatte, war nicht unbegründet und von Abscheu eingegeben worden, denn drei Klone waren spontanen Abtreibungen zum Opfer gefallen, andere waren mit physischen Makeln oder geistigen Defekten geboren worden. Nur von einem Kind wurde berichtet, daß es in jeder Hinsicht perfekt war – und dieses Kind würde sie zur Sommerkönigin machen.
    Sie griff hinab und hob den kunstvoll verzierten Bilderkubus von der Tischoberfläche auf. Das Gesicht in seinem Innern hätte ihr eigenes Porträt als junges Mädchen sein können. Sie drehte den Kubus und sah zu, wie die Gesichtszüge sich beim Drehen in drei Dimensionen veränderten. Der Inselhändler, der das Kind in ihrem Auftrag im Auge behielt, hatte ihr das Hologramm gegeben, und sie selbst war von seltsamen und unerwarteten Gefühlen erfüllt gewesen, als sie es betrachtet hatte. Manchmal verspürte sie den brennenden Wunsch, mehr von dem Kind zu sehen als nur ein Hologramm – es zu berühren oder zu halten, ihm beim Spielen zuzusehen und Zeuge zu werden, wie es lernte und wuchs. Kurz, sich selbst zu sehen, wie sie vor so langer Zeit gewesen sein mußte,

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