Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
konnte. Sie wußte nur, daß die Pforte Zugang zu sieben anderen bewohnbaren Welten ermöglichte, von denen einige so weit entfernt waren, daß sie nicht einmal mehr die Distanzen geistig erfassen konnte. Sie waren miteinander verbunden, und dazu auch noch mit einer unermeßlichen Zahl unbewohnbarer Welten, weil die Schwarze Pforte den Sternenschiffen Zugang zu einer Region verschaffte, wo der Raum verschlungen und verknotet war wie eine Schnur, wodurch Ferne zu Nähe wurde und die Zeit in den Schlaufen gefesselt war.
Und sie waren dadurch verbunden, daß sie zu den Welten zählten, die der Hegemonie von Kharemough Tribut zollten. Autonome Welten - hier lächelte sie hintergründig - dank der relativistischen Zeitverschiebungen beim Anflug zur und von der Pforte. Doch sie war eine loyale Untertanin der Hegemonie, denn ohne sie hätten die Winterklans keinen Zugang zur Technologie der Außenwelten, die ihnen Macht und Wohlstand und Würde sicherte und sie weit über das Sommervolk und seine abergläubischen Fischer und Bauern stellte, die von den Früchten des Meeres und den Einkünften ihres Handels lebten.
Als Gegenleistung bot Tiamat den Außenweltlern Hafen und Aufenthaltsort während der langen Reisen zwischen anderen Welten der Hegemonie. Ein einzigartiger Knotenpunkt, denn nur Tiamat allein umkreiste die Pforte. Obwohl der Orbit langgestreckt war, war es immer noch bedeutend näher als die nächste, mit Unterlichtgeschwindigkeit erreichbare Welt.
Arienrhod kehrte den Sternen den Rücken und schritt stumm über den synthetischen Pastellteppich zum Spiegel zurück. Sie konfrontierte ihr Spiegelbild mit demselben ausdruckslosen Gesicht, mit dem sie auch die Handelsdelegationen und Repräsentanten der Außenwelten empfing, und begutachtete ihr kunstvoll aufgetürmtes schneeweißes Haar hinter dem Diadem, sowie ihre makellose, durchscheinende Haut. Sie strich sich mit einer Hand über die Wange, weiter über die glatte Seide ihres Gewandes, eine Bewegung, die etwas Zärtliches hatte. Sie spürte die jugendliche Straffheit ihres Körpers, der immer noch so perfekt wie vor einhundertundfünfzig Jahren war, am Tag ihrer Investitur. Oder etwa nicht ...? Sie runzelte die Stirn und beugte sich näher an ihr eigenes Gesicht.
Ja ...
Ihre Augen, die von der Farbe des Nebels und des Mooses waren, strahlten Zufriedenheit aus.
Es gab noch einen Grund, weshalb die Außenweltler mit Geschenken überladen nach Tiamat kamen. Sie allein besaß den Schlüssel zum Älterwerden, ohne dabei zu altern. Die Meere dieser Welt waren ein Jungbrunnen, doch nur die Reichsten und Mächtigsten konnten es sich leisten, daraus zu trinken, und sie höchstpersönlich kontrollierte die Quelle – das Schlachten der Mers. Sie allein konnte darüber entscheiden, welcher Kaufmann oder Offizielle der Außenwelten dem Wintervolk so außerordentlich diente, daß er ihre ungewöhnliche Gunst dafür verdiente ... sie allein konnte den Adligen das Recht zur Ausbeutung der Kostbarkeiten des Meeres zugestehen, beziehungsweise den Zugang zu einer wertvollen Phiole mit silberner Flüssigkeit ermöglichen. Man sagte, wie nahe ein Adliger der Königin stand, konnte man anhand der Jugend des betreffenden Adligen abschätzen.
Aber nichts dauert ewig. Nicht einmal die ewige Jugend.
Wieder runzelte Arienrhod die Stirn und umklammerte einen vergoldeten Zerstäuber. Sie hob ihn auf, öffnete den Mund und inhalierte den silbernen Nebel. Er kondensierte in ihrer Kehle zu Eis und ließ ihr das Wasser in die Augen treten. Sie seufzte erleichtert, als wäre eine große Last von ihr genommen. Der Idealzustand der Konservierung wurde durch eine tägliche Anwendung des »Wassers des Lebens« erreicht, wie es von den Außenweltlern ehrfurchtsvoll genannt wurde. Sie selbst fand diesen Ausdruck amüsant, schon allein wegen seiner Scheinheiligkeit und Verlogenheit: Es handelte sich keineswegs um Wasser, sondern um das Blut eines unschuldigen Meeresgeschöpfes, des Mers, und es hatte ebensoviel mit dem Tod zu tun – dem Tod des Mers –, als mit dem langen Leben eines menschlichen Wesens. Auf der einen oder anderen Ebene war sich jeder Benützer, so wie sie auch, darüber im klaren. Aber was war schon das Leben eines Tieres im Vergleich mit ewiger Jugend?
Bislang war es der Wissenschaft nicht gelungen, das Extrakt künstlich herzustellen, ein gutartiges Virus, das die Fähigkeit des Körpers zur Erneuerung ohne genetische Schäden verstärkte. Außerhalb seines natürlichen
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