Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Siedlungspunkt. Zu jener Zeit hatte es nicht mal einen Namen gehabt. Hier draußen nannte man Universal Processing Consolidated einfach nur die ›Firma‹ oder den ›Konzern‹, und die Ansiedlung war die Stadt des Konzerns.
Er war nach World's End gegangen, und die Nachricht, die er von dort mitbrachte, versetzte die Hegemonie noch immer in Aufruhr. Hier, auf Nummer Vier, befand sich das Epizentrum des Bebens, dessen Schockwellen überallhin reichten, und hier hatten die ersten Veränderungen stattgefunden. Er beobachtete, wie die Stadt unter ihm vorbeizog; die gedrungenen, klotzigen Bauten der Gründerzeit wurden überragt von glänzenden, Bienenstöcken gleichenden Wolkenkratzern, die die Administration von Nummer Vier hochgezogen hatte, um die Scharen von Technikern, Forschern und Arbeitern, die für das Projekt nötig waren, unterbringen zu können.
Wenn man sich drunten im engen Straßengewirr befand, kam einem der Ort modern und geradezu futuristisch vor. Doch aus der Luft erkannte man die Grenzen, man sah den verfilzten, wuchernden Dschungel, der die Stadt umzingelte und sich so weit erstreckte, wie das Auge reichte. Ständig versuchte der Urwald, das Gebiet, das ihm die Menschen abgetrotzt hatten, zurückzuerobern ...
Chaos gegen Ordnung.
Ein Mikrokosmos des Lebens, des Fortschritts und der menschlichen Seele.
Einen Moment lang schloß er die Augen, um das Bild, das einen starken Widerhall in ihm erzeugte, nicht zu sehen. Morgen brach er zum Feuersee auf, ausgestattet mit Kenntnissen; die, so die Götter wollten, das Stardrive-Plasma dem Zugriff des Wahnsinns entreißen würden. Er entsann sich an seine erste Reise dorthin, und wie er nur mit knapper Müh und Not seine Brüder und sich selbst hatte retten können. Erleichtert merkte er, daß sie sich bereits wieder im Sinkflug befanden; gleichzeitig kehrte seine alte Illusion zurück, daß letzten Endes Fortschritt und Ordnung siegen würden.
Nicht, daß Fortschritt und Ordnung an sich schon einen hohen moralischen Wert darstellten, dachte er bei sich, als Niburu in der Sicherheitszone der Exkursions-Ausgangsstelle landete. Alles, was er beim Aussteigen aus dem Hovercraft sah, war häßlich und banal. Als er nach unten blickte, sah er die fleischigen Wucherungen eines namenlosen Pilzgewächses, die sich durch einen Spalt im schlampig verlegten Keramikboden zwängten.
Das Chaos drang durch die Poren der Zivilisation. Nichts hier war für längere Dauer gebaut worden. Es
ist beängstigend,
hatte Hahn, die Sibylle, einmal zu ihm gesagt,
wie schutzlos wir dem Leben ausgeliefert sind.
Aus Gewohnheit strich er sich den Rock glatt, während der waffenstarrende, uniformierte Wachmann auf sie zukam. Die Waffen hatten eher eine symbolische Bedeutung, eine Bedrohung stellten sie kaum dar. Weitaus subtilere und effektivere Mittel hielten Fremdlinge davon ab, sich unerlaubten Zutritt zu World's End zu verschaffen.
Als der Konzern noch allein für die Reisegenehmigungen nach World's End zuständig gewesen war, hatte es schon Probleme genug gegeben. Gundhalinu war fest davon überzeugt, daß es jetzt niemand mehr schaffte, illegal dorthin zu gelangen. Nachdem die Nachricht von seiner Entdeckung publik geworden war, hatte die mächtige Enklave auf Nummer Vier im Einvernehmen mit der Hegemonie das Gebiet um den Feuersee zu nationalem Besitz erklärt.
Die Firma Universal Processing Consolidated war die größte wirtschaftliche Macht auf dem Planeten gewesen, und ohne die volle Rückendeckung der Hegemonie wäre der Schritt nicht möglich gewesen. Dem Konzern gehörte World's End, wo der Feuersee lag. Aber als dort die ungeheuerliche Entdeckung gemacht wurde, war selbst das Undenkbare eingetreten.
Als der Wachmann näher kam, merkte Gundhalinu, was für ein Hüne er war. Wie ein Berg rückte er auf sie zu. Etwas an seinem breiten, tiefgebräunten Gesicht kam ihm bekannt vor, und er überlegte, ob er den Kerl schon früher einmal getroffen hatte. Doch die mürrische Miene des Mannes ließ nur erkennen, daß er Fremde, wie sie, offensichtlich nicht leiden konnte.
Er trug die Uniform des Militärs der Enklave, aber Gundhalinu war sicher, daß er vorher in einer Firmenmontur gesteckt hatte, wie die meisten Arbeiter hier. Ihre Herren hatten gewechselt, sonst war alles beim alten geblieben – außer, daß die totalitäre Bürokratie, die seit einem Jahrhundert jeden Bewohner dieses Kontinents beherrschte, ihre Unterdrückungsmechanismen noch verbessert hatte; die Furcht
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