Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Grinsen.
Gundhalinu zuckte die Achseln. »Von mir aus denken Sie, was Sie wollen.« Der laue Nachtwind streichelte sein Gesicht.
Sie erreichten das Labyrinth aus Gassen, das in den alten Stadtkern führte, den es vermutlich schon gab, bevor die Firma hier Fuß faßte. Rissige, verwitternde Mauern trugen die Narben eines ständigen Kampfes gegen ein mörderisches Klima.
Hier, außerhalb der geschützten Parkanlagen, hinterließ der Dschungel überall seine Spuren; graugrün gefleckte Kletterpflanzen und fleischige Dornenbüsche arbeiteten mit unendlicher Geduld daran, jedes Menschenwerk zu vernichten. Gundhalinu hatte die Stadt und alles, was mit ihr zusammenhing, schon immer deprimierend gefunden.
Mittlerweile waren die Straßen bei Dunkelheit besser beleuchtet, und es gab ein abwechslungsreicheres Nachtleben; doch derartige Zerstreuungen reizten ihn heute genausowenig wie vor drei Jahren. Weil Kredite reichlicher flossen, ging es in den Gassen lebhafter und lärmender zu. Unterwegs begegneten ihnen mehr Fremde als Einheimische, das Projekt hatte alles verändert.
»Wohin gehen wir?« fragte Kullervo mit mäßigem Interesse.
»Wir besuchen Hahn – das ist die Sibylle, die mich zu Ihnen brachte.«
»Warum gerade jetzt? Ist es für einen Freundschaftsbesuch nicht ein bißchen spät?«
»Bevor wir aufbrechen, muß ich ihr etwas geben.« Gundhalinu zeigte ihm den schweren Behälter, den er in einer Hand trug.
»Was ist da drin?«
»Etwas, das ihrer Tochter gehört.«
Kullervo zog die Stirn kraus. »Sagten Sie nicht, ihre Tochter sei auch eine Sibylle ... ohne dafür geeignet zu sein? Heißt das etwa, sie ist ...« Er tippte sich an den Kopf.
Verrückt.
»Ja«, antwortete Gundhalinu kurzangebunden. Bei labilen Menschen verursachte der Sibyllenvirus unweigerlich einen psychischen Zusammenbruch, der nie mehr geheilt werden konnte.
»Wie ist das passiert? Ich dachte, die Auswahlkriterien für Sibyllen seien sehr streng.«
»Sie wurde auch abgelehnt, wollte sich aber nicht damit abfinden. Ihre Mutter hat sie infiziert.«
»Ihr Götter!« murmelte Kullervo kopfschüttelnd; er warf einen Blick auf Gundhalinus Kleeblattmedaillon.
An einer Kreuzung ging Gundhalinu langsamer. »Sie wohnt in dieser Straße.«
»Ich möchte gern mitkommen«, sagte Kullervo.
Gundhalinu zögerte. »Also gut.« Er zuckte die Achseln und bog in die Seitenstraße ein. Sie gelangten in ein ruhiges Wohnviertel; zweigeschossige Häuser, einige mit kunstvoll verschnörkelten Zierbalkonen, säumten die trübe beleuchteten, leeren Gehsteige.
Gundhalinu tauchte in einen Bogengang ein, der zu einem Apartmenthaus führte. Vor dem matt schimmernden Identifizierungsschild blieb er stehen, drückte auf die Taste mit dem richtigen Namen und ließ ihre Gesichter ablichten. Aus der Luft ertönte Hahns überraschte Stimme und forderte sie zum Eintreten auf. Der Sicherheitsschirm vor der Tür wurde ausgeschaltet.
Sie gingen ins Haus. In einem langen, weiten Kleid, das auch ein Nachtgewand hätte sein können, wartete Hahn vor der Wohnungstür auf sie. Man sah ihr ihre Neugier an, doch ohne ein Wort zu sagen, winkte sie sie herein. Ihre wachsamen Augen huschten von einem zum anderen.
Fast zwei Jahre lang war Gundhalinu nicht mehr bei ihr zu Hause gewesen; die Wohnung sah genauso aus wie früher: adrett und bescheiden, wie die Bewohnerin.
Die Möbel, die sie kaufte, nachdem er ihr eine Stelle beim Projekt besorgt hatte, wirkten wie neu.
Den Behälter stellte er auf einen niedrigen Tisch ab, mitten zwischen Geschirr, das dort stand. Dann beantwortete er Hahns unausgesprochene Frage. »Ich habe etwas mitgebracht; für Song.« Er öffnete den versiegelten Behälter und holte eine Kugel heraus, in der etwas Feuriges glänzte.
Er hielt ihr die Kugel entgegen und sah, wie sie besorgt die Brauen zusammenzog. »Was ist das?« fragte sie mit Flüsterstimme.
»Das ist Stardrive-Plasma.« Nicht Gundhalinu antwortete, sondern Kullervo. Mit aufgeklapptem Mund stand er da. »Was, zur Hölle, hat das zu bedeuten?«
»Ich bringe es nur seiner rechtmäßigen Eigentümerin zurück«, erklärte Gundhalinu mit erzwungener Ruhe.
»Sie haben es aus dem Labor entfernt – einfach so? Und dann sind wir beide damit durch den ganzen Forschungskomplex marschiert?«
Gundhalinu nickte.
»Wie war das möglich?«
Gundhalinu lächelte schwach. »Ich bin der Direktor des gesamten Projekts. Ich erteilte mir selbst die Erlaubnis.«
»Und das Sicherheitssystem schlug keinen
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