Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
leben.« Er wandte sich ab und ging zur Tür; dort blieb er stehen und wartete, daß Gundhalinu nachkam.
Der zögerte kurz, dann ging er ihm hinterher. Gemeinsam passierten sie die Sicherheitszonen und traten nach draußen in die drückend schwüle Nacht.
Vor der matt beleuchteten Tür wünschte Gundhalinu Kullervo eine gute Nacht. »Fahren Sie nicht mit mir?« fragte Reede.
Gundhalinu schüttelte den Kopf. »Ich gehe lieber zu Fuß.«
»Es ist aber verdammt weit«, staunte Kullervo. »Oder gehen Sie gar nicht heim?«
»Ich gehe nicht zu mir nach Hause.« Kullervos uncharakteristische Anwandlung von Kameraderie ärgerte Gundhalinu ein bißchen. Er blickte über die mit Scheinwerfern angestrahlte künstliche Landschaft und die trügerisch freie Fläche, die die halb unterirdische Festung des Projekts von der alten Firmensiedlung trennte. »Ich will jemanden besuchen.«
»Eine Frau?« Kullervo hob die Brauen. »Ist es privat?«
»Ja«, räumte Gundhalinu mit wachsendem Groll ein. »Aber es ist nicht das, was Sie denken.«
Kullervo starrte ihn an; seine Augen waren von der Nacht beschattet. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie ein Stück begleite?«
Gundhalinu zögerte; er merkte, daß er nach einer Ausrede suchte, um Kullervo loszuwerden. Doch da ihm keine einfiel, nickte er. »Wenn Sie möchten«, sagte er resigniert.
Sie durchquerten die sanft gewellte Parklandschaft. Gundhalinu blickte zum Himmel empor und sah ein paar verstreute Sterne am schwarzen, mondlosen Firmament. Er dachte an Tiamat, wo die Sterne glühenden Kohlen glichen, und er einmal um Mitternacht seinen eigenen Schatten gesehen hatte ... Dann stolperte er und mußte wieder auf den Weg achten.
Neben ihm stapfte Kullervo einher, gesenkten Blicks, die Hände in den Taschen seines weiten, blauen Kasacks vergraben. Er erinnerte Gundhalinu an einen Jungen, der auf dem Boden nach verlorenen Münzen sucht; bis zu diesem Zeitpunkt hätte er nie gedacht, daß ihm der Vergleich einmal im Zusammenhang mit Reede Kullervo in den Sinn kommen könnte. Wieder fiel ihm auf, wie jung der Mann wirkte. Aber die meisten Genies waren in ihrer Jugend am leistungsfähigsten.
»Sie gehen also nicht zu einer Geliebten ...« Kullervo sah ihn an. »Sind Sie eigentlich verheiratet?«
Gundhalinu schüttelte den Kopf; ihm war plötzlich unbehaglich zumute.
»Niemals gewesen?«
»Nein.« Er blickte in den Himmel hinauf. »Und Sic? Sind Sie verheiratet?«
»Ja.« Kullervo starrte geradeaus, wie wenn er sich an ein Gesicht erinnerte. »Bei den Göttern!« stieß er vehement hervor. »Ich will die Geschichte hier beenden und dann zu ihr zurückgehen!« Er ballte die Fäuste in den Taschen. »Sie ist mein ein und alles ...«
»Wie lange sind Sie schon mit ihr verheiratet?« Gundhalinu gab sich Mühe, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen.
»Noch nicht lange – und doch eine Ewigkeit.«
Gundhalinu fiel ein, daß Reede, seit er ihn kannte, noch nie eine Frau angesehen hatte. Er versuchte, sich die Frau vorzustellen, die solche Macht über Reede hatte, daß er sich selbst nach Jahren der Trennung noch nach ihr verzehrte. Wieder schaute er zu den Sternen empor. »Ist sie eine Kharemoughi?«
Kullervo lachte einmal kurz auf. »Was? – Nein! Sie stammt von Ondinee. Nichts für ungut, aber die Kharemoughi-Frauen sind nicht mein Typ.«
Gundhalinu sah ihn an. »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte er trocken, »aber wir sind nicht alle vom Hals an abwärts tot, Kullervo.«
Reede senkte den Kopf und schmunzelte, als er Gundhalinus Stirnrunzeln bemerkte. »Sie sind mit Ihrer Arbeit verheiratet. Wartet irgendwo da draußen wirclich niemand auf Sie? Keine Liebe keine Reue?«
Gundhalinus Kehle schnürte sich zusammen; er schluckte, und der Schmerz wanderte in die Brust hinab.
»Doch«, sagte er schließlich, »es gibt eine Frau; es gab eine ... und es gibt sie immer noch. Und ich weiß, was Reue ist ... Vielleicht sehe ich sie eines Tages wieder, wenn das hier alles vorbei ist.«
»Wo ist sie?«
»Auf Tiamat.«
»Tiamat!« staunte Kullervo. »Bei allen Göttern. Sagen Sie nur nicht, Sie haben das alles hier in Gang gesetzt, nur um eine Möglichkeit zu finden, zu ihr zurückzukehren.« Grinsend zeigte er auf den Forschungskomplex hinter ihnen. »Haben Sie noch mehr Überraschungen für mich auf Lager?«
»Ich mache das alles wirklich nur, um sie wiederzusehen«, behauptete Gundhalinu und lächelte matt.
»Lügner!« widersprach Kullervo mit breitem
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