Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
gelungen ist – und noch gelingen wird –, ist erst ein erster Schritt. Die Möglichkeiten sind beinahe grenzenlos. Wenn wir nur die Präzision erreichen, die sie damals gehabt haben müssen ...«
»Vorausgesetzt, wir haben am Feuersee Erfolg, können Sie bei Ihrer Rückkehr nach Kharemough mehr Geldmittel für Ihre Forschung lockermachen«, meinte Gundhalinu.
Kullervo sah ihn mit leeren Augen an, als sei er mit seinen Gedanken ganz woanders. »Gewiß«, murmelte er. Er rieb sich die Arme, und die Ärmel seines Hemdes rutschten bis über die Ellbogen hoch.
Gundhalinu erstarrte, als er die farbenprächtigen Muster sah, die sich von den Handgelenken an aufwärts kringelten.
Tätowierungen!
Bis jetzt hatte er Tätowierungen nur bei Kriminellen gesehen. Als er den Blick hob, merkte er, daß Kullervo ihn aufmerksam beobachtete.
Kullervos Hände zuckten, als wolle er die Ärmel wieder herunterstreifen, doch er ließ es bleiben. »Ich habe mich auf Samathe tätowieren lassen, als ich noch – jung war.« Er hob die Schultern. »Es ist nicht so, wie Sie denken.« Dann streckte er den Arm aus, damit Gundhalinu ihn deutlicher sehen konnte; die komplizierten geometrischen Muster waren ineinander verflochten wie bildlich dargestellte Musik, sie glichen in keiner Weise den primitiven Motiven, die er bei Unterwelttypen gesehen hatte. »Ich schaue sie mir gern an.«
»Die Tätowierungen sind schön«, gab Gundhalinu zu. Sie erinnerten ihn an die verzwickten Themen der Adhani-Disziplin. »Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen. Wieso halten Sie die Arme ständig bedeckt?«
Kullervo betrachtete die Tätowierungen, als würde er von ihnen hypnotisiert, doch Gundhalinu glaubte, daß sein Gesicht errötete. »Damit nicht jeder im Forschungszentrum dasselbe denkt wie Sie.« Er zog die Ärmel wieder herunter.
Gundhalinu schwieg; er war ein bißchen verlegen.
Abrupt wechselte Kullervo das Thema. »Wenn der Feuersee mit Song in Kommunikation treten konnte, warum dann nicht auch mit Ihnen?« Er deutete auf das Kleeblatt.
Abwesend befingerte Gundhalinu das Medaillon. »Ich hatte tatsächlich Kontakt mit dem Feuersee. Er zog meine Gedanken in seinen Bann, bis ich ... verstand.«
»Was spielt sich da draußen wirklich ab – in World's End?« Kullervo drehte den Ring, den er an seinem Daumen trug. Er bestand aus einem silbernen Metall und zwei gefaßten Soliis. Plötzlich kam Gundhalinu der Gedanke, es könnte sich um einen Trauring handeln.
»Ich kann es Ihnen nicht erklären. Vielleicht macht jeder, der dorthin geht, andere Erfahrungen.« Er hob die Hände. »Aber Sie werden es ja noch früh genug selbst erleben. Götter, wie spät es ist. Bevor die Nacht vorbei ist, sollten wir lieber noch etwas schlafen – wenn wir können.« Lächelnd hob er den Becher mit Wasser an die Lippen. Zum erstenmal, seit er Kullervo kannte, spürte er so etwas wie ein freundschaftliches Band zwischen ihnen. Kullervo nahm gleichfalls seinen Becher und trank ihn leer. »Jetzt fahre ich mit Ihnen zurück«, sagte Gundhalinu.
Kullervo nickte und rief per Fernelektronik ein Taxi. Dann stand er auf, reckte sich und massierte seinen Nacken. »Sagen Sie, hören Sie auch jetzt noch den Feuersee, wenn Sie da draußen sind?«
Nach kurzem Zögern nickte Gundhalinu: »Ich höre ihn immer noch, und ich kann mich mit ihm verständigen. Expeditionen, die ich anführe, sind nicht so gefährdet. Aber der Feuersee ist verrückt um es so auszudrücken. Er besitzt keine faßbare Realität, er kann unser Raum-Zeit-Kontinuum nach Belieben verlassen und wieder zurückkehren; deshalb ist es ja so verdammt schwierig, auch nur eine Probe zu entnehmen.« Das herbeigerufene Taxi schwebte auf die Straße nieder. »Reede ... am Feuersee kann es passieren, daß ich zeitweilig ein wenig verwirrt bin. Das Chaos in meinem Kopf verhindert, daß ich mich konzentriere.« Er holte tief Luft und merkte, wie er errötete. »Ich bin froh, daß. Sie mich auf dieser Reise begleiten; es ist gut, jemanden bei sich zu haben, auf den man sich verlassen kann.«
Kullervo lächelte. »Auf dieser Expedition brauchen wir einander.« Er blickte auf seinen Trauring, und sein Lächeln verzerrte sich. »Darauf können Sie sich verlassen.«
NUMMER VIER
World's End
I n den dunklen Stunden des frühen Morgens legte sich Reede in sein Bett zurück und seufzte. Er spürte, wie das Wasser des Todes ihn neu belebte, seine Einsamkeit und Angst dämpfte, und das vage Unbehagen auslöschte, das an
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