Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Alarm?« Kullervo kam offenbar aus dem Staunen nicht heraus.
»Natürlich nicht, ich hatte es dementsprechend programmiert; ich bin der einzige, der mit dem neuen System umgehen kann.«
Kullervo schüttelte den Kopf. »Ich muß mich setzen.« Er setzte sich hin.
»Song«, sagte Hahn plötzlich und spähte an Gundhalinu vorbei. Gundhalinu drehte sich um, und auch Kullervo hob den Kopf.
Song stand in der Tür zu einem Nebenzimmer, reglos, vor einem dunklen Hintergrund. Ein langes, sackartiges Nachtgewand umhüllte ihren schrecklich mageren Körper; das volle, mitternachtsschwarze Haar umrahmte ihr Gesicht wie eine Wolke. Sie sperrte den Mund auf und starrte Kullervo an; langsam hob sie eine Hand und preßte sie gegen die Lippen, mit der anderen zeigte sie auf Reede, als sehe sie ein Gespenst.
Vielleicht sieht sie wirklich einen Spuk, dachte Gundhalinu; am Feuersee hatten ihn selbst Gespenster genarrt. Ihre schwarzen Augen wanderten unstet durch den Raum, bis sie seinem Blick begegneten. Ihr Ausdruck konnte alles mögliche bedeuten: Wiedererkennen, Ablehnung, Haß ... oder auch gar nichts; doch als sie die Kugel in seiner Hand entdeckte, füllten sich ihre Augen langsam mit Verwunderung.
Mit unsicher ausgestreckten Händen kam sie auf ihn zu, wie wenn sie Angst hätte, zurückgestoßen zu werden. Er gab ihr die Kugel. Sie streichelte sie und drückte sie ganz fest an ihren Körper. Plötzlich schimmerten Tränen in ihren Augen. Als sie fragend die Stirn runzelte, glich sie ganz ihrer Mutter.
»Ja.« Er nickte, ohne Anstalten zu machen, sie zu berühren. Abermals schaute sie auf die Kugel, mit angespannter Miene, wie wenn sie versuchte, mit den Augen etwas zu erlauschen. Diesen Ausdruck kannte er ... Er erinnerte sich an das Gefühl. »Spürst du es? Jetzt ist es friedlich ...«
Sie deutete ein kaum wahrnehmbares Nicken an, aber sie schaute nicht mehr zu ihm hoch. Langsam drehte sie sich um, die Kugel an sich gepreßt, und entschwebte ins Nebenzimmer wie ein Geist. Ein unheimliches Flackern erhellte kurz den dunklen Raum.
Gundhalinu wandte sich wieder an Hahn, Kullervo ignorierend, der sich in vielsagendes Schweigen hüllte. »Morgen breche ich nach World's End auf.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Um Dr. Kullervos Reprogrammierung zu testen.«
»Ja, wir ...« Er verstummte.
Natürlich weiß jeder Bescheid.
»Ich dachte mir – was immer geschieht, ob wir erfolgreich sind oder nicht –, mir könnte ja etwas zustoßen, und deshalb wollte ich euch das Stardrive-Plasma jetzt schon geben.«
Sie nickte.
»Im Labor klappte der Umformungsprozeß jedesmal, auch bei der Probe, die ich euch brachte. Ich dachte mir, das Plasma könnte vielleicht von Nutzen sein.« Er blickte zu Boden.
»Danke«, murmelte sie.
»Das ist das mindeste, was ich tun kann.« Er hob den Blick und sah in ihr müdes, faltiges Gesicht. Die Kleeblatt-Tätowierung an ihrem Hals erinnerte daran, daß sie immer eine Sibylle war, auch wenn sie das Medaillon nicht trug, bei Tag und bei Nacht, wenn sie wachte und wenn sie schlief, ob sie aß, trank oder einen Mann liebte ... in jedem Augenblick ihres Lebens. »Ich wünschte, ich hätte eine Idee, wie ich helfen könnte.«
Sie lächelte dankbar, doch der sorgenvolle Ausdruck verschwand nicht.
»Ich muß wieder gehen.«
Sie zögerte. Er wußte nicht, warum; vielleicht wollte sie, daß er noch bliebe, vielleicht hatte sie auch verlernt, sich mit ihm zu unterhalten. Dann drehte sie sich um und ging voran zur Tür. »Gute Nacht«, sagte sie. »Und noch einmal vielen Dank.«
»Gute Nacht«, erwiderte er und verließ zusammen mit Kullervo das Haus.
Draußen auf der Straße griff Kullervo nach seinem Ärmel. »Ich verlange eine Erklärung. Sie haben gerade ein Drittel des gesamten Stardrive-Plasmas verschenkt, zu dessen Gewinnung Sie über zwei Jahre brauchten. Aus einer Laune heraus?«
»Nein.« Gundhalinu schüttelte den Kopf. »Eine Laune war es wohl kaum.« Er schlug den Weg zurück zum Stadtzentrum ein. »Die Menge des Stardrive-Plasmas, die wir bis jetzt gewinnen konnten, reicht bei weitem nicht aus, um auch nur einen einzigen überlichtschnellen Schiffsantrieb zu bauen. Und von selbst reproduziert sich das Plasma in unseren Labors nicht. Wenn wir mit unserem Projekt am Feuersee scheitern, spielt es ohnehin keine Rolle, ob ich etwas Plasma verschenkt habe. Und im Falle eines Erfolgs steht uns Materie genug zur Verfügung.«
»Aber was hat das Stardrive-Plasma mit Hahns Tochter zu
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