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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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nicht aus, weil er nicht wußte, wie sie reagieren würde. Traditionsgemäß war die Sommerkönigin eine symbolische Herrscherin, die für ihr Volk die Meeresmutter repräsentierte.
    Doch gleich bei der ersten offiziellen Zeremonie hatte Mond das Ritual verletzt und die Tradition gebrochen. Sie behauptete, die Göttin wolle, daß dieser Wechsel eine echte Veränderung mit sich brächte. Er wußte, daß sie nicht mehr an die Göttin glaubte, seit sie erfahren hatte, die die Sibyllen nichts anderes als menschliche Computerports waren, und keinesfalls die auserwählten Sprecherinnen der Meeresmutter, die deren Weisheit verkünden sollten. Sibyllen gab es auf allen Welten der Hegemonie, und vermutlich auch auf den anderen Planeten des ehemaligen Imperiums. Sie waren Sprachrohre einer künstlichen Intelligenz, und nicht Repräsentantinnen des Willens der Meeresmutter.
    Mond hatte ihm jedoch erzählt, der Geist der Sibyllen habe nicht durch sie, sondern zu ihr gesprochen und ihr befohlen, Tiamat den technologischen Fortschritt zu bringen, den die Hegemonie dieser Welt bis jetzt verweigert hatte. Der Gedanke war ihm genauso unwahrscheinlich vorgekommen wie die Existenz der Göttin – bis er heute Zeuge des Vorfalls in der Halle der Winde geworden war. »Wie hast du es fertiggebracht, den Wind zu bezähmen?« fragte er sie.
    Bekümmert sah sie ihn an. »Es mußte sein«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich mußte es einfach schaffen, deshalb nahm ich alle Kraft zusammen und ...« Sie brach ab.
    »Du weißt also gar nicht, wie es passiert ist?« flüsterte er.
    Sie schüttelte den Kopf und vermied es, ihn anzusehen. Ihre Fingerspitzen berührten das Sibyllenzeichen an ihrem Hals. »Etwas in meinem Innern hat gewußt, daß es möglich war. Es zwang mich, diesen Beweis zu erbringen, damit sie mir glaubten ...«
    Er ließ seine Hände sinken. Als er den schmerzerfüllten Blick in ihren Augen sah, schloß er sie wieder in die Arme, doch etwas zwischen ihnen war plötzlich anders geworden. »Komm ins Bett zurück«, wisperte er ihr ins Ohr. »Du brauchst Ruhe.«
    »Ich kann nicht. Ich bin zu aufgewühlt ...« Er führte sie von dem Podest herab; sie hielt seine Hand umklammert, doch ihr Blick wanderte durch den taghell erleuchteten Raum. Auch er schaute sich um. Der weiße Teppich glich einem Schneefeld; er erinnerte sich, wie Arienrhods Hofschranzen darauf gestanden hatten und sich in ihren bunten Trachten wie Juwelen gegen die helle Fläche abhoben. Von der Decke hingen hauchzarte, mit winzigen Glöckchen besetzte Schleier herab, die beim leisesten Luftzug harmonisch klingelten.
    Sie verließen das Thronzimmer und gelangten in die dunklen, oberen Säle, in denen sich jetzt nicht einmal mehr Dienstboten aufhielten. Funke war froh, daß er endlich mit Mond allein war, und einen dieser kostbaren, seltenen Momente genießen konnte. Als sie sich beim Wechsel wiedergefunden hatten, glaubte er noch, für sie würde alles anders werden. Er sollte Recht behalten, alles wurde anders, aber nicht so, wie er es sich gewünscht hatte. Nichts war mehr wie früher. Mond war nicht länger das unschuldige Sommermädchen, das er geliebt hatte, und er war nicht mehr der naive Jüngling aus alten Zeiten; dafür hatte Arienrhod gesorgt.
    Er wollte sie in ihr Zimmer zurückführen, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte mich nicht hinlegen. Geh ein bißchen mit mir herum – zeig mir den Palast, ich will jeden Winkel kennenlernen.«
    »Was, jetzt?« fragte er. »Wieso?« Nach Arienrhods Tod hatte sie ihm versprochen, sie beide würden nie wieder einen Fuß in den Palast setzen. Er hatte ihr geglaubt, weil er annahm, sie wolle genausowenig an das Vorgefallene erinnert werden wie er.
    Doch der Palast schien sie wie magnetisch anzuziehen, als sei er ein Teil der Besessenheit, die sie beim Wechsel ergriffen hatte. Dabei schien sie sich in dem Palast nicht einmal wohl zu fühlen, genau wie er. Er wußte, daß die Größe des Bauwerks, die vielen unterwürfigen Bediensteten und der fremdartige Luxus der Außenweltler sie einschüchterten. Nur selten verließ sie die wenigen Räume, in denen sie wohnten, als hätte sie Angst, sie könne sich in den weiten Säulenhallen verlaufen und den Rückweg nicht mehr finden.
    Bis jetzt hatten nur die Schneeköniginnen in dem Palast gelebt. Von hier aus regierten sie und stellten die Verbindung zu den Außenweltlern her, die über Tiamats Geschick bestimmten. Mond war die erste Sommerkönigin, die hier residierte.

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