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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Mond Dawntreader atmete ein paarmal tief durch, während sich auf ihren Zügen eine Andeutung der gleichen Ehrfurcht abmalte, die die übrigen Zuschauer ergriffen hatte. Sie schaute in das blasse, angespannte Gesicht ihres Gemahls und kehrte dann an seine Seite zurück. Als sie seine Hand ergriff, kam es Jerusha so vor, als blicke er unsicher, ja geradezu ängstlich drein. »Es ist der Wille der Herrin«, sagte Mond Dawntreader, »daß ich diesen Platz einnehme, und daß ich zu euch spreche.« Sie zeigte auf den Abgrund, der nun, da der Wind sich gelegt hatte, von jedem überquert werden konnte. »Das war ihr Zeichen dafür, daß eine echte Veränderung stattgefunden hat. Die Gebräuche des Wintervolks sind für uns nicht länger tabu.«
    Ihre Mimik drückte die Gefühle aus, die sie empfand. »Wir sind das Sommervolk«, sagte sie, »und unsere Traditionen haben unser Überleben gesichert. Aber keiner kann für sich beanspruchen, daß seine Lebensweise die einzig richtige ist. Eine Veränderung bewirkt nicht immer nur Schlechtes, alles ist dem Wandel unterworfen. Es war nicht der Wille der Herrin, daß man uns nützliches Wissen vorenthielt, sondern die Außenweltler haben es so gewollt. Die sind jetzt nicht mehr hier. Ich bitte euch alle, mit mir zusammenzuarbeiten und eine Veränderung ...«
    Capella Goodventure schleuderte das Kontrollkästchen auf den Boden und stolzierte aus der Halle. Das Echo ihrer Schritte verklang in der Dunkelheit. Die restlichen Zuschauer blieben stehen, blickten wie gebannt auf die Königin und warteten darauf, daß sie weiterspräche. Die Sibyllen waren bereit, auf sie zu hören und in ihrem Sinn zu handeln.
    »Wie hat sie das bloß gemacht?« wunderte sich Jerusha. »Ich verstehe das nicht.«
    Miroe schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe keine Ahnung«, gab er zu. »Ich kann nur hoffen, daß sie Bescheid weiß, denn sie selbst hat dieses Wunder nicht bewirkt.«
    Jerusha starrte nach oben in die gespenstischen Schatten der Kuppel. Vor zwanzig Jahren hatte sie zum erstenmal diese Halle betreten, doch die Geheimnisse dieser rätselhaften Stadt verloren sich in den dunklen Tiefen der Vergangenheit, reichten Tausende von Jahren zurück. Jerusha rieb sich die Arme, in dem Gefühl, die Wände rückten immer dichter an sie heran, bis sie sich vorkam wie in einem eisigen Grab. Sie sagte nichts mehr.
     

TIAMAT
Karbunkel
    F unke Dawntreader verharrte an der Tür zum Thronzimmer der letzten Schneekönigin. Er konnte nicht weitergehen, es war, als stünde er unter einem Bann. Die strahlende Schönheit des Throns faszinierte ihn immer wieder. Die gläsernen Verzierungen wirkten wie aus Eis geschnitzt; das Licht brach sich in den Ornamenten und spiegelte sich in den schimmernden Flächen, so daß er in einem inneren Glanz zu leuchten schien.
    Der Thron kam ihm vor, als sei er lebendig. Er erinnerte sich, wie er dieses Zimmer zum erstenmal betreten hatte und sie dort sitzen sah: Arienrhod, die Schneekönigin, die unerklärlicherweise dasselbe Gesicht hatte wie Mond Dawntreader, das Mädchen, das er liebte und nicht vergessen konnte.
    Selbst jetzt noch überwältigte ihn der Anblick des Throns, obwohl er viele Jahre lang Arienrhods Liebhaber gewesen war. Nun saß Mond auf dem großen, weißen Herrschersessel, still und verloren, mitten in der Nacht, wie eine verirrte Schlafwandlerin.
    Er atmete tief durch, befreite sich von dem Zauber, der ihn gefangenhielt, und zwang sich dazu, das Zimmer zu betreten. Geräuschlos wie ein Geist lief er über den weißen Teppich. »Mond«, sagte er leise.
    Sie erschrak, drehte sich um und blickte ihn an. »Was tust du hier?« fragte er. Es klang schärfer als gewollt, deshalb setzte er einlenkend hinzu: »Du müßtest dich ausruhen, schlafen sollst du ... Ich dachte, Miroe hätte dir ein Schlafmittel gegeben.«
    Nach dem Treffen mit den Sibyllen – nachdem sie den Wind gezähmt hatte – war sie blaß und ermattet die Treppen hinaufgestiegen. Dabei hatte sie sich auf Funke gestützt, und er spürte, wie sie vor Erschöpfung zitterte. In der letzten Zeit fühlte sie sich oft schwach; das Kind in ihr – oder die Zwillinge – kosteten sie viel Kraft.
    Er hatte sie in ihr Schlafzimmer gebracht, und Miroe flößte ihr einen warmen, beruhigenden Kräutertrank ein. Auf seine Anordnung hin durfte niemand Mond stören, auch Funke nicht, der keinen Einwand erhob. Als er sich später zu ihr legte, hatte sie schon geschlafen.
    Doch dann war er mitten in der Nacht wach

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