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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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durch die Menge nach vorn. An Monds Reaktion merkte Jerusha, daß sie die Frau wiedererkannte. »Ich bin Clavally Bluestone Sommer«, stellte sie sich vor, wobei Capellas Miene sich noch mehr verfinsterte. »Ich habe Mond Dawntreader zu einer Sibylle gemacht. Sie hat das Recht, das Zeichen des Kleeblatts zu tragen und den Willen der Herrin zu verkünden.«
    »Soll sie es doch beweisen«, ereiferte sich Capella Goodventure. »Laßt sie beweisen, daß sie das Recht hat, so mit uns zu sprechen!«
    Mond nickte selbstbewußt. »Frage, und ich werde dir antworten.«
    »O nein!« wehrte Capella Goodventure ab. »Ein Sibyllentransfer kann vorgetäuscht werden. Ich verlange einen echten Beweis. Das Meer soll uns ein Zeichen geben.«
    Die Königin stand regungslos da, lauschte dem skeptischen Gemurmel der Sibyllen und überlegte, wie sie deren Zweifel ausräumen könnte. Jerusha wartete nur auf einen Wink, der ihr gebot, einzuschreiten und Capella Goodventure abzuführen. Doch sie wußte, daß Mond in diesem Fall ihre Glaubwürdigkeit verlieren würde.
    Mond blickte sich um und schaute in die tiefe Grube hinab, die hinter ihr lauerte wie ein Symbol der Gefahr; dann wandte sie sich wieder Capella Goodventure zu. »Die Meeresmutter ist hier bei uns«, sagte sie laut und deutlich. »Fühlst du ihre Gegenwart? Dort unten wartet der Ozean, kannst du ihn riechen, kannst du die Stimme der Meeresmutter hören?« Capella Goodventure verbiß sich ein Lächeln. Dann streckte Mond ihr die Hand entgegen, in der sie einen Gegenstand hielt. Jerusha stockte der Atem, als sie erkannte, was es war. »Das ist ein Kontrollkästchen. Es zähmt den Sturm in der Halle der Winde; nur mit einem Kontrollkästchen kann ein Mensch die Grube unbeschadet überqueren.« Sie gab Capella Goodventure das Kästchen und schickte sich an, die Brücke zurückzugehen.
    Jerusha fluchte leise. »Nein ...«
    »Mond!«
    Jerusha hörte, wie Funke Dawntreader den Namen seiner Gemahlin rief, während er versuchte, sie zurückzuhalten.
    Doch ein Blick von ihr genügte, und er ließ sie los. Angst spiegelte sich in seinen Augen. Mond neigte den Kopf, hob die Arme und murmelte leise etwas vor sich hin, das wie ein Gebet klang. Sie zitterte ein wenig, als befände sie sich kurz vor einem Transfer. In der stillen Halle war nur noch das Brausen des Windes zu hören, als die Königin die Brücke betrat.
    Sie schwankte unter dem Angriff des Windes, verharrte ein Weilchen regungslos, bis sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, und ging dann einen Schritt weiter. Jerushas Hände verkrampften sich; ihr wurde übel, als sie sich daran erinnerte, wie sie selbst diesen fürchterlichen, schwindelerregenden Abgrund überquert hatte. Sie kämpfte gegen den Impuls an, die Augen zu schließen.
    Sich gegen den wütenden Wind anstemmend, machte die Königin den nächsten Schritt. Und dann passierte es. Die Königin schaute nach oben, und Jerusha folgte ihrem Blick; vor Staunen hielt sie den Atem an. Das melodiöse Seufzen des Windes verstummte, die hauchfeinen Schleier, die sonst wie wild flatterten und sich gewaltigen Segeln gleich blähten, hingen plötzlich schlaff herab; bei den Menschen drunten entstand eine windstille Zone, und die Öffnungen hoch droben in der Kuppel begannen sich zu schließen. Blaues und goldenes Sonnenlicht flutete durch die unbewegten, duftigen Schleier und umgab Monds Haar wie eine Aura. »Beim verfluchten Bootsmann ...«, flüsterte Jerusha und spürte, wie Miroe, in Ehrfurcht erschauernd, ihren Arm schmerzhaft umklammerte.
    »Bei unserer Herrin«, raunte er mit heiserer, tiefer Stimme.
    In der Menge breitete sich ein leises Gemurmel aus, und eine Sibylle nach der anderen sank auf die Knie. Man glaubte fest daran, einem Wunder beizuwohnen, das eine Gottheit bewirkte. Zum Schluß war Capella Goodventure die einzige Person, die noch aufrecht stand. Doch sie nickte mit dem Kopf, vielleicht, weil sie sich geschlagen gab. Die Königin stand mit hocherhobenem Haupt da, und einem Ausdruck in den Augen, den Jerusha nicht zu deuten vermochte. Der Wind war eingeschlafen, kein Lüftchen rührte sich in der riesigen Halle, und die Zuschauer schienen wie zu Stein erstarrt. Endlich ging Mond Dawntreader weiter, verließ die Brücke und gelangte wieder auf sicheren Boden.
    Sie warf einen letzten Blick auf die Vorhänge, die bewegungslos herunterhingen, als warteten sie auf etwas. Aber keine neue Brise brachte sie zum Flattern, die großen Fenster droben blieben geschlossen.

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