Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
verknoteten Faden glich, wo weit entferntes nah war, und die Zeit sich in den Windungen verfangen hatte.
Doch indem sich die Zwillingssonnen dem Aphelium ihres Orbits näherten, destabilisierten ihre Kraftfelder die Schwarze Pforte, und die Passage von Tiamat zu den anderen Welten der Hegemonie wurde gefährlich. Deshalb verließen die Außenweltler jedesmal Tiamat, sobald der Sommerstern am Himmel heller wurde.
Auch bei ihrem letzten Exodus hatten sie ihre Technologie mitgenommen, und sorgten auf diese Weise dafür, daß die Einheimischen das nächste Jahrhundert in Unwissenheit und Rückständigkeit verbrachten. Damit war gewährleistet, daß diese Welt für sie ein Ausbeutungsobjekt blieb, und daß man begierig auf ihre Rückkehr wartete, sobald die Passage durch die Schwarze Pforte wieder möglich war. Die Außenweltler wollten Tiamat in Abhängigkeit halten, weil es in den Ozeanen dieses Planeten die Mers gab, deren Blut das Geheimnis der Unsterblichkeit enthielt. Sie nannten es das Wasser des Lebens, es war kostbarer als Gold, als Weisheit, sogar kostbarer als ein Menschenleben .. .
Er sah hinab auf die Stadt, deren gewundene Lichterketten durch die Dunkelheit glühten, und er schaute über das Meer. In dem schwarzen, glänzenden Wasser forschte er nach Anzeichen von Leben, er hielt Ausschau nach den typischen Schwimmbewegungen der Mers. Doch so weit sein Blick reichte, lag der Ozean glatt und still da.
Es dauerte eine Weile, ehe er die Suche aufgab und sich in dem Zimmer umsah. Der Teppich bestand aus den Häuten von Pfallas, die von den Winternomaden im unzugänglichen Bergland gezüchtet wurden. Zögernd schritt Mond über das weiche Fell, in das ihre bloßen Füße einsanken wie in eine Schneewehe. Auch Funke wanderte langsam durch das Zimmer und entdeckte eine Seite an Arienrhod, die ihm bis jetzt verborgen geblieben war.
Unter einem Glassturz befand sich ein Strauß aus getrockneten Blumen. Die Blüten waren so alt, daß sie ihre Farbe verloren hatten und nicht mehr zu bestimmen waren. Er berührte eine Stoffpuppe, die nur noch ein Auge hatte und durch die Liebe eines Kindes ramponiert war. Jetzt lag sie vernachlässigt und staubig auf einem kleinen, lackierten Tischchen. Daneben fand sich noch mehr abgegriffenes Kinderspielzeug, das am Ende des letzten Hochsommers hier verwahrt worden sein mußte.
Arienrhod war ähnlich aufgewachsen wie er und Mond. Doch dann kamen die Außenweltler, sie wurde die Schneekönigin und trank das Wasser des Lebens. Während der einhundertundfünfzig Jahre, die der Winter dauerte, blieb sie äußerlich jung und verwandelte sich allmählich in die Frau, die er gekannt hatte. Wie oft hatte Arienrhod ihm gesagt, daß er fast vergessene Erinnerungen an eine andere Welt in ihr wachriefe. Damals hatte er geglaubt, sie würde lügen, wie immer. Nun jedoch blickte er auf die Andenken aus ihrer Kindheit, stumme Zeugen dafür, daß sie die Wahrheit gesagt hatte. Schließlich wandte er sich ab.
Mond hielt ein Schmuckstück in der Hand, eine Silberkette mit einem silbernen Medaillon, in dessen Mitte ein Edelstein funkelte. »Das ist ja ein Solii«, staunte er. Er hatte nie gesehen, daß Arienrhod diesen Anhänger trug, obwohl er sehr wertvoll sein mußte; aber vielleicht hatte sie ihn nicht gemocht. Er fragte sich, wieso sie das Medaillon in ihrem Arbeitszimmer aufbewahrt hatte und nicht zusammen mit ihrem anderen Schmuck. Mond sah ihn an und legte das Medaillon auf den Schreibtisch zurück.
Funke stellte sich vor einen Spiegel, der in einem aufwendigen Rahmen auf einem anderen Tisch stand. Es hätte ein Toilettentisch sein können, vor dem Arienrhod prüfte, ob sie auch wirklich nicht gealtert war, nachdem sie über hundert Jahre lang das Wasser des Lebens getrunken hatte. Doch er entdeckte die verräterische Sensorplatte am Sockel des Spiegels – die elektronische Vorrichtung, die die silberne Fläche in etwas vollkommen anderes umwandelte. Erschrocken wurde ihm klar, daß dieser stille Raum das Herz des Spionagesystems war, mit dessen Hilfe sich Arienrhod die Informationen beschaffte, die sie brauchte, um den Außenweltlern immer einen Schritt voraus zu sein. Außerdem bereitete es ihr Vergnügen, das Privatleben ihrer Feinde auszuforschen und die Adligen ihres eigenen Volks zu bespitzeln. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, die Menschen heimlich zu beobachten, die ihr am nächsten standen, und die am verletzlichsten waren ... Sie hatte sogar zugeschaut, wie er und Mond
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