Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
hielt, war feucht, als er weiterging, und die grünen und roten Lichter auf dem Bildschirm miteinander verschmolzen.
Auf dem Fußboden vor ihm breitete sich ein rote, glänzende Flüssigkeit aus, wie wenn jemand ein Faß Farbe ausgekippt hätte. Zu spät bemerkte er die Lache und landete mit beiden Füßen darin. Ein roter Tropfen fiel von oben herab, gleich darauf der nächste. Der Stunner glitt aus seinen tauben Fingern, landete in der Pfütze, und die roten Spritzer benetzten seine Hose.
Langsam, wie in Zeitlupe, hob er den Kopf, während eine eisige Hand seine Kehle zudrückte.
Dort droben waren seine Brüder; sie hingen von der Decke, hoch oben, außerhalb seiner Reichweite. Wie geschlachtetes Vieh hingen sie an Ketten, die Spitzen von Enterhaken ragten ihnen aus der Brust. Sie waren tot. Starr sah er zu, wie das Blut heruntertropfte und den roten See am Boden vergrößerte.
Taumelnd drehte er sich um und prallte gegen seine Gefährten, die hinter ihm stehengeblieben waren. Er schaute in ihre Gesichter – auf Donnes, Zarkadas und Tilhens Zügen malte sich fassungsloses Staunen ab, Vhanus Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen; er schwenkte herum und rannte zur Tür hinaus.
»Holt sie runter«, murmelte Gundhalinu und zwang sich dazu, den Blick auf Donne zu richten. »Sucht jemand ... und holt sie runter.«
Donne nickte und gab Tilhen und Zarkada einen Wink. Sie entfernten sich. Donne schaute abermals nach oben; Gundhalinu drängte sich an ihr vorbei. Sie ging ihm hinterher, den blutigen Spuren folgend, die seine Stiefel bei jedem Schritt hinterließen.
Endlich waren sie draußen. Gundhalinu blieb stehen und staunte, daß das Licht und die Umgebung sich nicht verändert hatten. Vhanu stand vor einer Wand und wischte sich den Mund ab; seine Augen waren gerötet. Gundhalinu wandte den Blick von ihm ab. Seine eigenen Augen brannten, als seien sie voller Sand, doch er konnte nicht blinzeln. »Warum ...?« fragte er Donne.
Donne preßte sich eine Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf, ehe sie ihn anschauen konnte. »Ich weiß es nicht, Kommandant.« Als sie ihm antwortete, klang ihre Stimme nüchtern. »Vielleicht will man damit etwas beweisen.«
Er runzelte die Stirn. »Ob sie meine Brüder aus Wut umgebracht haben, weil die Codes nutzlos sind?«
»Ich tippe eher darauf, daß man sie nur deshalb tötete,
weil
sie Ihre Brüder sind«, mutmaßte sie. »Möglicherweise soll es eine Warnung und Demonstration sein. Die Bruderschaft will Ihnen zeigen, wozu sie fähig ist. Zwar wagt man es nicht, Hand an BZ Gundhalinu zu legen, aber man ist auch so imstande, Ihnen Schmerz zuzufügen. Es tut mir leid, Kommandant ...« Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern.
Gundhalinu tat einen zittrigen Atemzug und ballte die Fäuste. Rings um ihn her dröhnte, wummerte, klapperte und kreischte der Lärm, der den Fortschritt dokumentierte; von fern, aus der Nähe, durch ihn hindurch, drang in seinen Kopf ein und hinderte ihn daran, einen klaren Gedanken zu fassen. »BZ«, sagte Vhanu und kam zu ihm. Gundhalinu merkte, wie er ihm seine Hand auf die Schulter legte, obwohl sein Körper vollkommen gefühllos zu sein sch i en. »Ich rufe Hilfe. Ich rufe ...«
»Nein«, widersprach Donne. »Wir kümmern uns darum, Vhanu. Keine Polizei, kein Skandal; das ist das letzte, was der Kommandant jetzt gebrauchen kann. Wir regeln alles selbst, verstanden?«
Vhanu biß auf die Zähne und blickte sie lange an. Endlich nickte er. »Verstanden.«
Gundhalinu wandte sich an Donne; er suchte nach Worten des Dankes, fand aber keine. Statt dessen drückte er ihren Arm und blickte in ihre klaren, dunklen Augen. »Ich stehe in Ihrer Schuld.«
Donne lächelte flüchtig. »Wir sollten jetzt lieber gehen Kommandant, es ist besser, wenn wir von hier verschwinden.«
Er kehrte der Tür, die immer noch offenstand wie eine klaffende Wunde, den Rücken zu und ging zur Straße zurück.
KHAREMOUGH
Gundhalinus Besitz
G undhalinu sah den letzten, in strenges Grau gekleideten Trauergästen hinterher, die durch die üppige Farbenpracht des Gartens schritten. Er blieb an dem Platz stehen, den er während der gesamten Trauerzeremonie nicht verlassen hatte, regungslos, emotionslos, das perfekte Muster eines Menschen, den eine sich vornehm dünkende, inhumane Zivilisation hervorgebracht hatte. Er wartete er wußte nur nicht genau, worauf. Er wartete darauf, daß die Trauerfeier zu Ende ging, und daß sich bei ihm Gefühle einstellten.
Warten
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