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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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wie Fleisch in einem Schlachthaus.
    Plötzlich merkte er, daß sein Gesicht naß war; dieses Mal weinte er echte Tränen ... Tränen des Selbstmitleids. Angewidert wischte er sie fort.
Götter... ich bin so müde.
Langsam stand er auf und schob den Deckel von der Urne. Sie war angefüllt mit der Asche seiner Ahnen, und jedesmal, wenn jemand starb, kam eine Prise dazu, ehe die Überreste in alle Winde verstreut wurden. Er tauchte einen Finger in die Asche und malte sich das vorgeschriebene graue Zeichen der Trauer auf die Stirn.
    Als er den Schrein verließ, atmete er tief durch, ehe er den Pfad zurückging. Pandhara Netanyahr saß noch auf der Wartebank und blickte über das Tal hinaus. Sie schien nicht zu merken, daß er näher kam, und als er ihren Namen sagte, schrak sie zusammen, als sei sie vollkommen in den Anblick des Tals vertieft gewesen.
    »Ja«, sagte er bedächtig, ihrem Blick folgend, »es ist wirklich wunderschön hier.« Er setzte sich neben sie auf die Bank.
    Sie sah ihn von der Seite her an. Ihm wurde peinlich bewußt, daß sie auf irgendeine erniedrigende Geste wartete. Doch als nichts dergleichen passierte, entspannten sich ihre Züge wieder. »Ich danke Ihnen, daß ich diese Umgebung noch ein Weilchen genießen durfte. Zu diesem Anwesen habe ich eine besondere Beziehung, es ist wie bei einem alten Liebespaar; die Trennung tat weh, aber die schönen Erinnerungen bleiben.«
    Er hörte den melancholischen Unterton heraus und blickte zu Boden. »Ich verstehe, was Sie meinen. Er betrachtete das Haus, das aussah, als sei es aus dem Fels herausgewachsen. »Seit meiner Rückkehr empfinde ich genauso.«
    »Aber jetzt sind Sie doch das Oberhaupt der Familie, nicht wahr?«
    Das Oberhaupt der Familie.
Er fragte sich, wie es weitergehen sollte; jedes liebevolle Detail seines Besitzes, alle schönen Erinnerungen, brannten in seiner Seele wie Salz in einer offenen Wunde. Trotzdem konnte er nur noch wenige Tage hierbleiben. Er mußte zurück in die Werften, die Regierungszentren, und in das Hauptquartier der Polizei. Sobald er wieder zu arbeiten anfing, konnte er seinem Besitz nur dann und wann kurzfristige Besuche abstatten. Tiamat wartete auf ihn, und nur die Götter wußten, ob er von dort jemals wieder zurückkehren würde ... Er preßte sich die Hand gegen die Augen und stützte einen Arm auf der Rückenlehne der Bank ab.
    »Gundhalinu-sathra ...« Netanyahr stand auf, wie wenn sie glaubte, sie hätte seinen plötzlichen Stimmungsumschwung ausgelöst. Flüchtig berührte sie seine Schulter. »Ich bin schon viel zu lange geblieben ... Entschuldigen Sie ...«
    »Gehen Sie nicht fort.« Er hielt sie an der Hand fest. Sie nahm wieder Platz und schaute ihn schweigend an.
    »Ich freue mich über ein bißchen Gesellschaft, die nicht unter irgendeinem Zeitdruck stattfindet«, sagte er und rang sich ein Lächeln ab. »Ich möchte nicht zum Haus zurückgehen; es ist voller Gäste und Kondolenzschreiben, jeder will wissen, wann ich wieder zurücckomme.«
    Sie hob die Brauen. »Sind Sie wirklich so unersetzbar, daß man Sie nicht einmal in Ruhe trauern läßt?«
    Er gab ein scharfes Lachen von sich. »Man hält mich nur für unersetzbar, in Wirklichkeit käme man natürlich auch ohne mich aus. Aber an diesem Image bin ich wohl selbst schuld. Vhanu behauptet, ich könnte keine Arbeiten delegieren. Recht hat er!«
    Sie strich eine Haarsträhne zurück, die der Wind ihr ins Gesicht geblasen hatte. »Sind Sie deshalb nicht schon eher hier gewesen, wegen Ihrer Arbeit?«
    Er blickte zur Seite. »Teilweise ... Sie wissen ja, daß ich mit meinen Brüdern nie gut ausgekommen bin.«
    Sie nickte, und er sah ihren sonderbaren Gesichtsausdruck.
    »Kannten Sie meine Brüder?«
    Nervös bewegte sie die Hände in ihrem Schoß; er spürte, wie sie verlegen wurde. »Ich traf sie, als ich das Anwesen kaufte. Und nachdem sie von ihrer Exkursion auf Nummer Vier hierher zurückkamen, sah ich sie natürlich wieder. Als ich gezwungen wurde, alles aufzugeben, machten Sie mir den Vorschlag ...« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kannte sie nur flüchtig.« Sie überkreuzte die Arme vor der Brust und richtete den. Blick in die Ferne.
    »Was schlugen sie Ihnen vor?« hakte er nach.
    Mit ihren goldbraunen Augen sah sie ihn ruhig an. »Ihr Bruder SB sagte zu mir, ich dürfte auf dem Anwesen wohnenbleiben und arbeiten – wenn ich mit beiden Brüdern schlafen würde und alles täte, was sie von mir verlangten. Ich versuchte es sogar ... – bis ich

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