Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
will mitkommen.«
Überrascht wandte sich Mond an Jerusha. Die nickte bestätigend. »Und was hältst du von diesem Plan?« fragte Mond.
Jerusha hob die Schultern. »Ich finde, Ngenet ist für solche Abenteuer zu alt. Aber ehe ich ihm das ins Gesicht sage, soll er sich von mir aus lieber den Hals brechen.« Sie lächelte resigniert. »Wenn du wissen willst, ob ich an einen Erfolg dieses Unterfangens glaube – ja, ich könnte mir vorstellen, daß sie etwas Nützliches herausfinden.« Sie blickte zu Boden und schaute dann wieder Mond in die Augen. »Mir geht der Schutz der Mers auch über alles, aber darüber dürfen wir nicht die Menschen vergessen, die wir bis jetzt angeleitet und instruiert haben. Ihre Probleme sind zu wichtig, als daß wir sie ignorieren könnten.«
»Ja, sicher, du hast recht; ich ...« In einer beinahe hilflosen Geste hob Mond die Hände. Mit schmerzerfülltem Gesicht sah sie Funke an.
»Danaquil Lu Wayaways möchte auch gern mitkommen; wir könnten ihm Fragen stellen ...«
»Nein!« Mond wurde blaß und griff erschrocken nach seinem Arm. Mit seinem kranken Rücken!«
Er runzelte die Stirn. »Dann nehmen wir einen anderen Sibyl.«
»Nein!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihm fest in die Augen. »Kein Sybil und keine Sibylle darf in den Schacht hinabsteigen.«
Verblüfft starrte er sie an. »Bei der Herrin, warum denn nicht?«
»Für sie wäre es zu gefährlich. Sie würden ... ich spüre, daß dort unten etwas ...« Sie preßte die Lippen aufeinander. Keine Sibyllen! Ich verbiete es!«
»Na schön. Dann benutzen wir Aufzeichnungen und Instrumente. Seine Stimme klang kühl. Indem er Mond unbewußt nachahmte, kreuzte auch er die Arme vor der Brust, wie wenn er sich gegen einen Angriff wappnen wollte. »Falls du nichts dagegen hast.«
Sie schien zu erschauern. »Tu, was du tun mußt«, sagte sie leise.
Sein Groll legte sich, als er den Ausdruck in ihren Augen sah. Plötzlich wollte er sie in die Arme nehmen, doch als er auf sie zuging, rückte sie von ihm ab. »Aber ihr werdet nichts herausfinden«, setzte sie hinzu. »Eure Expedition in den Schacht ist überflüssig, dort drunten gibt es nichts zu entdecken.« Sie drehte sich um und ging fort, ihn allein mit Jerusha zurücklassend.
»Da ...?«
Überrascht blickte Funke hoch, als sein Sohn ihn rief. Als er an Ngenets Schulter vorbeiblickte, sah er Tammis, der die Halle der Winde durchquerte. »Was gibt's denn?«
Vor den beiden Männern blieb Tammis stehen und betrachtete deren Ausrüstung, die von ihnen ein letztes Mal überprüft wurde. Ein halbes Dutzend Helfer, unter ihnen Danaquil Lu Wayaways, standen daneben, um den Abstieg in den Schacht zu beobachten.
»Ihr wollt also tatsächlich da hinunter?« vergewisserte sich Tammis.
»Was glaubst du, was dieser ganze Aufwand soll?« entgegnete Funke und deutete auf die Geräte. Es klang barscher als gewollt, und er merkte, wie Ngenet ihn verwundert anstarrte. Er sagte sich; seine Nerven seien einfach zum Zerreißen gespannt.
»Du hast mir nichts davon erzählt!« protestierte Tammis vorwurfsvoll. »Keiner hat mir was gesagt. Ich bekam nur zufällig mit, wie Tante Jerusha davon sprach. Weiß Ariele Bescheid?« Er bemühte sich, seine Eifersucht nicht durchscheinen zu lassen, aber ohne Erfolg.
»Ich habe ihr nichts gesagt«, erwiderte Funke wahrheitsgemäß.
»Warum diese Heimlichtuerei?«
Funke stieß einen Seufzer aus. »Es sind genug Leute eingeweiht.« Er zeigte auf die Gruppe von Menschen, die sich am Rand des Schachts aufhielten, wo man die Aufzugs-Module bestieg.
»Wir haben kein Geheimnis daraus gemacht«, mischte sich Ngenet ein, während er seinen Gerätegurt schloß und einen Sack mit Ausrüstungsgegenständen aufhob. »Aber bei einem solchen Experiment kann man keine Gaffer gebrauchen.« Er hob die Schultern. »Vor allen Dingen, wenn ein Erfolg fraglich ist.«
»Wollt ihr das Energiesystem für die Stadt reparieren?«
»Zuerst möchten wir uns lediglich umsehen«, erklärte Ngenet geduldig. »Es soll ein Test sein. Nur die Götter wissen, ob wir überhaupt in der Lage sind, etwas zu bezwecken. Sollten wir zu dem Schluß kommen, daß sich etwas erreichen läßt, überlegen wir uns den nächsten Schritt.«
Tammis betrachtete den schmalen Steg, der den Schacht überspannte. Sein Leben lang war er über diese Brücke geschritten, doch Funke wußte, daß er es nie ohne Angst tat. Selbst in diesem Moment sah er den Schatten der Furcht in Tammis' Augen.
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