Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Mund einen bitteren Geschmack spürte. »Aber benutze es niemals als Entschuldigung für deine eigenen Taten, besonders nicht bei mir.« Er wandte sich von seinem bestürzt dreinblickenden Sohn ab; Kirard Set zuccte amüsiert die Schultern. »Wie der Vater, so der Sohn ...?« spöttelte er und schürzte die Lippen. Funke stieß ihn mit dem Ellbogen zur Seite und drängte sich an ihm vorbei.
Als er die Stufen hinuntereilte, nahm er kaum Notiz von Merovy, die auf halber Treppe stand, oder mit welchem Ausdruck in den Augen sie ihm hinterherstarrte.
TIAMAT
Clearwaters Plantage
I ch kann es nicht fassen.« Mond schüttelte den Kopf; bis zu den Knien stand sie neben dem verlassenen Boot im Wasser. »Es ist unglaublich.« Ihr Verstand weigerte sich zu begreifen, daß ihre Großmutter tot war, plötzlich und unwiderruflich wie eine Welle, die sich an Gestaden bricht. Mit der Hand strich sie über das Totemtier am Bug des Boots, und sie berührte das dritte Auge, das ihm nach Art der Sommer in die Stirn eingeschnitzt war; das Wetterauge wurde es genannt. Selen, der Name ihrer Großmutter, war auf das Heck gepinselt; ein Boot wurde immer nach einer Frau benannt, denn das gefiel der Meeresmutter. Doch dieses Mal hatte die Meeresmutter gegrollt, und der Name des angetriebenen Boots ließ keinen Zweifel daran, wer von einer unverhofften, jähen Bewegung ihrer Hand hinweggenommen worden war.
Mond wandte sich wieder Funke zu, der zwischen ihr und der kleinen Ansammlung von Plantagenarbeitern stand. Die Arbeiter waren von Mers, die an diesem Küstenabschnitt verweilten, zu dem Boot geführt worden. Bis jetzt war noch kein Leichnam angeschwemmt worden.
Auch jetzt lungerten Mers in der Nähe im Wasser herum oder hockten unweit am Strand. Funke schüttelte den Kopf und spähte über das Wasser. Er blinzelte im Sonnenlicht, das wie von Millionen Spiegelscherben zurückgeworfen wurde und ihn blendete. »Auf der Hochzeit sagte Elco Teel etwas von einem Unwetter drunten an der Küste.«
In Gedanken ließ Mond noch einmal das Hochzeitsfest an sich vorbeiziehen; sie hatte in viele glückliche Gesichter geschaut und war selbst auch glücklich gewesen. Dann sah sie wieder zu den Plantagenarbeitern hin. »Brach ein Unwetter los, nachdem sie abgesegelt waren?«
Die Arbeiter tauschten untereinander Blicke aus und zuckten die Achseln. »Nein, Herrin, es gab kein Unwetter«, antwortete eine Frau. »Seit einer Woche ist es schön.«
Mond sah Funke wieder an. »Das hat Elco Teel gesagt? Wie kam er dazu, eine solche Bemerkung zu machen?«
Funke schüttelte den Kopf und zog die Mundwinkel nach unten. »Um jemandem die gute Laune zu verderben«, entgegnete er säuerlich. »Darin ist er genauso gut wie sein Vater.«
»Das klingt ja, als hätte er gewußt, daß etwas passieren würde.«
»Aber es gab doch kein Gewitter«, beharrte Funke.
»Nein«, murmelte sie und schwieg; plötzlich aufkeimendes Mißtrauen durchdrang den Kummer über ihren Verlust. »Es gab kein Gewitter.« Sie watete tiefer ins Wasser hinein, beobachtet von den obsidianschwarzen Augen der Mers, deren lange Hälse aus dem Wasser ragten; mit der Hand strich sie über das Boot. Kein Zeichen von Zerstörung, nichts Auffälliges. Es war, wie wenn ihre Großmutter und Borah Clearwater einfach hinweggezaubert worden wären. Wieder betrachtete sie die Mers. »Ihr habt es gesehen, nicht wahr?« sagte sie. »Schade, daß ihr mir nichts erzählen könnt.«
Funke zögerte kurz, dann nahm er die Flöte und setzte sie an die Lippen. Verdutzt starrten die Plantagenarbeiter ihn an. Als die ersten Tonfolgen erklangen, wußte Mond, daß er die Sprache der Mers nachahmte. Diese drehten ihm lauschend die Köpfe zu; die Arbeiter, die offenbar auch begriffen hatten, was die sonderbare Melodie bedeuten sollte, begannen erstaunt zu murmeln.
Nachdem Funke geendet hatte, schauten die Mers einander an und gaben im Wechselgesang trällernde Läufe von sich.
Kurz darauf landete etwas mit dumpfem Klatschen neben Funkes Füßen. Es war so schnell gegangen, daß Mond die Bahn des Dings nicht hatte verfolgen können, doch es stammte von den Mers.
Stirnrunzelnd hob Funke es auf, während Mond an den Strand zurückwatete. Es war ein zu einem Knäuel verheddertes Netz aus Monofilament, von der Art, wie die Winterleute es zum Fischen benutzten. Funke schüttelte das Wasser heraus und warf es den Arbeitern zu.
»Stammt das von der
Selen?«
fragte Mond, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.
Die
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