Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
vielleicht noch zur Umkehr bewegen kann. Besinne dich endlich auf deine Pflichten als Sommerkönigin, Mond Dawntreader.«
»Es war eine gute Idee von ihnen, Mond, daß sie mich zu dir gebracht haben«, sagte Gran mit sanftem Nachdruck. »Und du solltest ruhig über Capellas Worte nachdenken.«
Mond preßte die Lippen aufeinander. »Du hast dir ja große Mühe gegeben«, sagte sie zu Capella Goodventure. »Dafür wird die Herrin dich gewiß belohnen.« Ihr Blick war so kalt wie das Meer.
Capella Goodventure -zog die Stirn kraus. »Du hast vielleicht schon die Belohnung für deine Ketzerei bekommen, die du im Namen der Herrin begangen hast.«
Mond erstarrte. »Wie meinst du das?«
Capella Goodventure senkte scheinheilig den Kopf. »Nun, ich denke da an den Unfall deiner Mutter. Womöglich wollte die Herrin dich dadurch bestrafen.«
Mond wurde schwindelig, und sie fühlte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. »Ich bin nicht schuld am Tod meiner Mutter!« Sogar Gran war aufgesprungen und ließ die verstörten Kinder allein auf der Sitzbank.
»Das habe ich auch nicht behauptet.« Abwehrend hob Capella Goodventure die Hand. »Ich wollte nur andeuten ...«
»Daß ich den Tod meiner Mutter verschuldet habe! Was glaubst du, wer du bist? Wie kommst du dazu, dich ungebeten in mein Leben einzumischen? Verschwinde von hier, und laß mich in Ruhe!« Mond griff nach einer gläsernen Skulptur, die auf einem Tischchen stand, und schleuderte sie in Richtung der Tür. Die Skulptur zerschellte in einem Schauer aus Splittern. Vor Schreck und Angst fingen die Kinder an zu schreien, und Mond drehte sich kurz nach ihnen um, ehe sie sich wieder der Tür zuwandte. Doch Capella Goodventure war fort. Auf dem Treppenabsatz in der Halle lungerte ein Diener aus dem Wintervolk herum und grinste hämisch über den jähen Abgang der Sommerfrau. »Und du gehst mir auch aus den Augen!« schnauzte Mond ihn an. Das Grinsen verging dem Mann; nach einem hastig gemurmelten »Jawohl, Eure Majestät«, suchte er schleunigst das Weite.
Mond starrte ihm hinterher.
Eure Majestät ...
Der Mann hatte nicht sie gesehen, sondern das Abbild eines Geistes. – Manchmal wurde sie von den Winterleuten, die im Palast dienten, noch so angeredet, vor allen Dingen, wenn sie wütend war und sie beschimpfte. Dann verkörperte sie für sie nicht mehr die Sommerkönigin, sondern Arienrhod, deren Zorn so tödlich sein konnte wie der Frost.
Doch Arienrhod war tot ..., und tot war auch Lelark Dawntreader, die braunhaarige Frau, die immer nach dem Meer roch, und vor langer Zeit ein schläfriges Kind in den Armen gewiegt hatte. Beide Frauen lebten nicht mehr, und sie war jetzt die Sommerkönigin.
Sie schüttelte den Kopf und hielt sich mit tauben Fingern den Mund zu, als sie merkte, daß Ariele und Tammis sich an sie klammerten. Sie trösteten ihre Mutter und brauchten doch gleichzeitig deren Trost. Sie berührte ihre schmalen Schultern, und während sie die Rücken der Kinder streichelte, spürte sie, wie die Spannung von ihnen abfiel. Sie selbst fühlte sich auch gleich besser. »Jetzt ist alles wieder gut, meine Schätzchen«, sagte sie. .›Geht doch mit Gran zum Abendessen nach unten. Sie hat einen langen Weg hinter sich ...«
»Komm mit uns!« »Ohne dich gehen wir nicht!« Die Kinder umklammerten ihre Hände und bettelten, bis sie nachgab.
»Na schön ... wir gehen alle zusammen.« Sie blickte ihre Großmutter an, und als sie deren traurige, bekümmerte Miene sah, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Gran streckte ihr die Hand entgegen, und Mond wußte, wenn sie sie ergriff, würde sie sich wieder in ein kleines Kind verwandeln, doch das konnte sie sich nicht erlauben. Mit gesenktem Blick wandte sie sich ab und ging die Treppe hinunter.
Funke Dawntreader Sommer – Cousin und Gemahl der Sommerkönigin – trat leise hinaus auf die nächtliche beleuchtete, ihm wohlvertraute Olivine-Allee. Als die Winterkönigin herrschte, hatte sie ›Blaue Allee‹ geheißen, weil die blauuniformierten Polizisten der Außenweltler hier ihre Quartiere hatten. Damals hatte er diese Straße gemieden, heute hatte er sie fast zu seinem Zuhause gemacht. Er begann mit dem steilen Anstieg, der ihn zum Palast führen würde, egal, wie langsam er ausschritt.
Nach acht Jahren haßte er den Palast noch immer, und deshalb verbrachte er in ihm so wenig Zeit wie möglich. Doch am Ende eines jeden Tages kehrte er dorthin zurück, weil Mond auf ihn wartete, und weil er nie aufgehört
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