Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
hatte, sie zu lieben. Sie war genauso ein Teil von ihm wie seine Musik und wie seine Seele – die beiden Dinge, die Arienrhod ihm gestohlen, und die Mond ihm zurückgegeben hatte. Das Leben ging weiter, ob er es verdiente oder nicht. Und droben im Palast, inmitten der Überreste von Arienrhods Regentschaft und inmitten aller Erinnerungen, warteten seine Kinder auf ihn, der lebendige Beweis für seine Liebe zu Mond.
»Hallo, Funke.«
Funke blieb stehen und blickte auf den hellerleuchteten Torbogen, in dem sich die dunkle Silhouette einer Gestalt abhob.
»Wir feiern gerade. Komm und sei mein Gast. Das schulde ich dir.«
Nun erkannte er den alten und doch ewig jungen Kirard Set. Er stand im Eingang zu einer Taverne mit dem Namen
The Old Days.
Früher einmal war das Lokal eine der pompösesten und teuersten Spielhöllen in der ganzen Straße gewesen. Nun standen die Geräte kalt und stumm da, während der ehemalige Winteradel zusammenhockte, auf die gute alte Zeit trank und mit beinernen Würfeln spielte – beinahe das einzige Vergnügen, das ihnen außer Trinken und Sex noch geblieben war.
»Was wird denn gefeiert?« Müde, aber neugierig trat Funke in den Lichtschein. Die alten Favoriten der Königin kannten ihn nur zu gut, wenn sie ihn auch nicht immer in bester Erinnerung hatten. Der Duft von gerösteten Mehlplätzchen stieg ihm in die Nase, und irgend jemand rief seinen Namen. Geplauder und Lachen drangen bis auf die Straße hinaus. Jemand spielte virtuos auf einer Mindel, dazu wurde getrommelt, gepfiffen und gesungen.
Er faßte nach dem Beutel, der von seinem Gürtel herabhing. Seine Flöte trug er immer bei sich, und er redete sich ein, er wüßte nie, ob er nicht doch Gelegenheit zum Spielen fand. Doch in Wahrheit war die Flöte sein Talisman geworden, und er mochte sich nicht von ihr trennen. Für ihn symbolisierte sie eine höhere Ordnung, eine Erhabenheit, die die Musik ihm zuerst enthüllt hatte. Es war die reine, unverbrüchliche Wahrheit.
Seine Arbeit am Sibyllencollege hatte ihm die Schönheit der Mathematik und Physik gezeigt, die das Herz aller Dinge war, und die auch der Musik zugrundelag. Nun beschäftigte er sich in jeder freien Minute mit Mathematik, und außer seinem Flötenspiel hatte er noch nie zuvor etwas so sehr genossen.
Die Musik zog ihn wie magisch an. Er betrat die helle Taverne, und Kirard Set drückte ihm einen Pokal mit Wein in die Hand. »Wir feiern, weil die neue Gießerei auf einem Grundstück des Wayaways-Clan gebaut wird«, erklärte er lächelnd. »Die Königin ist wirklich unglaublich, weißt du ...« Er legte den Arm um Funkes Schultern. Der unterdrückte den Wunsch, ihn gleich wieder abzuschütteln. »Aber
du
weißt das natürlich besser als jeder andere ... Wie hat sie das eigentlich bewerkstelligt? Natürlich, ich verstehe, deine Lippen sind durch einen Kuß versiegelt.« Kirard Set machte mit dem Mund ein schmatzendes Geräusch und drückte fest Funkes Schulter.
Funke trank einen großen Schluck von dem importierten Wein aus den Beständen der Außenweltler. Vor deren Abflug hatten die Adligen große Mengen davon gehortet, so wie sie technisches Gerät beiseite geschafft hatten. Zum Glück hatten die Außenweltler bei ihrem Fortgehen den Wein nicht auch verderben können, wie sie die Technologie zerstörten.
Kommentarlos ließ sich Funke von Kirard Set an einen Tisch führen und setzte sich. Ein Spielautomat, der früher Hologramme erzeugt hatte, war nun mit einem Brett und einem Stück Tuch abgedeckt, das vorher das Fenster eines luxuriösen Außenweltlerpalais geziert hatte.
Funke sah in Kirard Sets strahlendes Gesicht und fragte sich, woran er in diesem Moment wirklich denken mochte. Vielleicht an gar nichts. Kirard Set war Funke seit jeher unsympathisch gewesen, er fand ihn rätselhaft und undurchschaubar. Eines jedoch war klar: Kirard Set Wayaways und die anderen Adligen glaubten allen Ernstes, die Sommerkönigin sei in Wahrheit immer noch die Winterkönigin, die es irgendwie geschafft hatte, die Hegemonie, das Sommervolk und sogar den Tod zu überlisten, um das Ziel zu erreichen, auf das sie sich eingeschworen hatte: Tiamat von den Außenwelt-lern unabhängig zu machen.
Funke seufzte und blickte zur Seite. In einer anderen Ecke des Raums entdeckte er Danaquil Luy Wayaways mit seiner Frau und ihrem Kind. Sie standen abseits und sahen aus, als ob sie sich in ihrer Haut nicht wohl fühlten. Danaquil Lu hielt die schlafende Merovy auf dem Arm.
Funke spürte
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