Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
sich dann von ihr trösten ließ –obwohl
sie ihr
Kind verloren hatte ...
Nein, wir haben unser Kind verloren. Unser Kind!
sagte sie sich mit Nachdruck. Trotzdem lehnte sie sich zurück, als sein Griff sich lockerte, und ließ sich auf das kalte Bett sinken.
Sein Blick war düster und voller Skepsis. Er faßte in seine Jackentasche und holte einen kleinen Krug mit getrockneten Kräutern hervor. »Jerusha«, sagte er ruhig, »ich möchte, daß du das ab jetzt benutzt.«
»Was ist das?« fragte sie und versuchte, den Inhalt des Krugs genauer in Augenschein zu nehmen.
»Es sind Kräuter, die eine Empfängnis verhüten«, antwortete er und blickte ihr dabei ganz offen ins Gesicht.
Sie fühlte, wie der letzte Hoffnungsschimmer in ihr erlosch. »Ich soll also nicht noch einmal schwanger werden?«
»Dieses Mal hätte ich dich um ein Haar verloren, Jerusha. Du wärst fast verblutet. Das Risiko darfst du nicht mehr eingehen ... Ich will es nicht.«
»Aber, Miroe!« Sie wollte sich aufrichten, doch sie schaffte es nicht. »Ich bin dreiundvierzig, viel Zeit bleibt mir nicht!«
»Ich weiß.« Sie sah, wie ein Muskel an seinem Kinn hervortrat. »Und das Risiko wird immer größer – für dich und für das Kind. Vielleicht ist es an der Zeit, daß wir der Wahrheit ins Gesicht sehen, Jerusha. Wir werden keine Kinder haben, nicht in diesem Leben.«
Sie starrte ihn an. »Du weißt, daß ich nicht an Reinkarnation, an zweite Chancen, glaube. Das hier ist keine Generalprobe, Miroe, es ist mein Leben, und ich gebe nicht auf.« Sie verstummte und biß die Zähne zusammen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich liebe dich, Jerusha. Ich liebe dich viel zu sehr, um dein Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Du kannst keine Kinder austragen. Und wenn du diese Kräuter nicht nimmst, schlafe ich nie wieder mit dir.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« sagte sie mit rauher Stimme.
»Und ob es mein Ernst ist.« Er blickte zur Seite und stand vom Bett auf. »Es tut mir leid, aber das mache ich nicht noch einmal mit.« Er ging aus dem Zimmer.
Sie sah ihm hinterher, außerstande, das Bett zu verlassen, ihm nachzulaufen und ihn zur Rede zu stellen. Auf dem Nachttisch stand das Fläschchen mit den Kräutern zur Empfängnisverhütung, das er zurückgelassen hatte. Mit zitternder Faust fegte sie es herunter. Dann fiel sie aufs Bett zurück und starrte leeren Blickes die Zimmerdecke an; sie spürte, wie sich die Gefühllosigkeit von der Mitte ihres Körpers aus verbreitete, in ihr Herz einzog und ihren Geist betäubte, bis kein Platz, mehr für Gedanken blieb ...
»Kommandantin PalaThion! Was machen Sie hier?« Konstabler Fairhaven, die sich auf das graue Holzgeländer am Pier abgestützt hatte, nahm Haltung an. In ihrem schmalen, wettergegerbten Gesicht stand ein Ausdruck von Besorgnis.
»Ich tue nichts weiter als meine Pflicht, Konstabler, so wie Sie.« Jerusha erwiderte den Gruß. Fairhavens Salut war nur angedeutet gewesen, ganz nach Art der Sommer, aber Jerusha hielt sie für eine besonnene, kluge Frau, und diese Eigenschaften wogen mehr als Disziplin, vor allem in einer Gesellschaft, in der die Gesetzeshüter oftmals mit den Leuten, auf die sie achtgeben sollten, verwandt und verschwägert waren. Jerusha lehnte sich neben Fairhaven an das Geländer und atmete die verschiedenen Düfte ein, die so typisch für den Hafen waren; es roch nach Holz und nach Teer, nach Salz, Seetang und Fischen. An den schwimmenden Bootsstegen lagen Schiffe und Kähne aus allen Winkeln der Küste.
»Aber ist es noch nicht zu früh ...?« fragte Fairhaven.
»Ich fühle mich wohl«, erwiderte Jerusha mechanisch, ohne die andere Frau dabei anzusehen. Ihr Blick wanderte über das Gewirr aus Tauen und Ketten, und das Muster aus Licht und Schatten, das über die Wasserfläche huschte. Versonnen betrachtete sie die vertäuten Schiffe. Tags zuvor war Miroe fortgesegelt, zurück zu seiner Plantage; die Stadt, die er haßte, hatte er hinter sich gelassen, und sie blieb allein mit ihrem Kummer und dem Schmerz, allein mit der Frustration und den Vorwürfen gegen ein mitleidloses Universum. Miroe war allem aus dein Weg gegangen, der gemeinsamen Trauer um ihr totes Kind, der Leere, die der Traum, den sie aufgeben mußten, hinterließ.
»Verzeihen Sie mir, Jerusha.« Fairhaven streckte die Hand aus und berührte Jerushas Arm; es war die Geste einer Frau, die eine andere Frau trösten will. Sonst hatte Konstabler Fairhaven sie nur mit ›Kommandantin‹
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