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Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Hafenarbeiter kamen herbei; sie stierten Jerusha an, als habe sie den Verstand verloren, aber sie wußten, daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als zu gehorchen. Sie befestigten das Monofil an der Winde und begannen zu kurbeln. Ihre Bewegungen wurden langsamer, und ihre Muskeln traten dick hervor, als das Seil sich mit einem Ruck straffte. Aber sie kurbelten weiter. Das Seil begann zu sirren, während der letzte Millimeter Spielraum herausgedehnt wurde, und das volle Gewicht des Schiffs daran lastete.
    Jerusha hielt den Atem an. Sie wußte, das Seil würde halten, trotzdem hatte sie Angst. Das Schiff knarrte und ächzte, doch endlich richtete es sich langsam auf.
    Arbeiter sprangen hinzu und zogen die beiden eingequetschten Männer unter dem Schiffsrumpf hervor. Die Männer an der Winde kurbelten weiter, und staunend beobachtete die Menge, wie sich das Schiff immer weiter in die Höhe hob. Der Ausleger, der unter dem Pier eingeklemmt war, zerbarst in zwei Teile und kam unter einem Schauer aus umherfliegenden Holzsplittern frei. Das Schiff begann zu schwanken, stabilisierte sich nach einer Weile und wurde so weit nach oben gezogen, bis es seine ursprüngliche Position wieder erreicht hatte –und das Seil hielt immer noch.
    Jerusha riß sich vom Anblick des Schiffes los und sah zu, wie die verletzten Arbeiter zur Rampe getragen wurden, die in die Stadt hinauf und zum Krankenhaus führte. Plötzlich wurde sie von jemand kurz und stürmisch umarmt, der dann den Bahren mit den Verletzten hinterherlief.
    »Das war ein Verwandter von Littleharbor«, erklärte Fairhaven. Sie zeigte auf eines der Opfer und den Mann, der Jerusha soeben an sich gedrückt hatte. Jerusha nickte stumm, während sie sich fragte, ob man den Verletzten mit den primitiven medizinischen Mitteln, die ihnen jetzt nur noch zur Verfügung standen, überhaupt würde helfen können. Miroe hatte sich nach Kräften bemüht, sein ärztliches Wissen an Einheimische weiterzugeben, doch ohne eine fortschrittliche Ausrüstung waren auch seine modernen Methoden nicht viel effektiver als die herkömmlichen Kräutermixturen, mit denen sich die Tiamataner seit jeher behandelten.
    »Kommandantin?« fragte eine zaghafte Stimme.
    Sie drehte sich um und sah sich einer Gruppe von Sommerleuten gegenüber. »Was ist los?«
    »Wie ist so etwas möglich?« wollte eine Frau wissen. »Was für ein Seil hält ein Gewicht aus, das selbst für eine Kette zu schwer ist?«
    »Das nennt man ein monomolekulares Seil«, antwortete sie. »Es ist extrem stark. Angeblich könnte es die ganze Stadt Karbunkel in die Höhe heben, ohne zu reißen. Es stammt von der Außenwelt.« Gespannt beobachtete sie die Gesichter der Menschen, die sie umringten; sie erwartete Gleichgültigkeit, nachdem sie die Herkunft des Seils bekanntgegeben hatte. Sie war bereits zu der Ansicht gelangt, die Sommerleute müßten alle Masochisten sein, weil sie so ziemlich alles ablehnten, was ihr Leben leichter machte.
    Doch dieses Mal kamen sie näher, berührten vorsichtig das Seil, und spekulierten über dessen vielseitige Verwendbarkeit; ein so leichtes und dabei reißfestes Seil ließ sich zu Netzen knüpfen und für die Takelage eines Segelboots benutzen, man konnte es auf einer Farm und in einer Fischerhütte gebrauchen. Das Material war einfach
besser
als alles, was man bisher kannte. Die ganze Zeit über hatten die Königin, die Vertreter des Sibyllencollege und die unternehmerischen Winterleute versucht, dem Sommervolk die Vorteile einer modernen Technik einzutrichtern, und waren dabei nur auf Ablehnung gestoßen. Es wäre klüger gewesen, sie hätten die Dinge für sich selbst sprechen lassen, damit die Sommer sich eine eigene Meinung bilden konnten. Etwas aufzuzeigen, zu demonstrieren, war besser als ein Befehl.
    »Und die Winterleute wissen, wie man so ein Seil herstellt?« fragte ein großgewachsener Mann mit einem rötlichen Bart.
    »Bis jetzt noch nicht«, räumte Jerusha ein. »Aber eines Tages werden sie so weit sein.« Sie versuchte, sich ihren Triumph nicht anmerken zu lassen. »Aber – in den alten Lagerhäusern der Regierung liegen noch eine Menge von diesen Seilen herum. Wenn ihr wollt, dann könnte ich vielleicht dafür sorgen, daß ihr welche bekommt.« Sie zuckte die Achseln und gab sich Mühe, gleichgültig zu erscheinen.
    Die Sommerleute tauschten Blicke aus, wie wenn einer die Reaktion des anderen erraten wollte. Wer würde der erste sein, der sich Seile aus diesem neuen Material

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