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Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Er schüttelte den Kopf. Dann bot sie ihm Wasser an. Gierig stürzte er es herunter; er hatte das Gefühl, er könne das Meer leertrinken, ohne seinen Durst lösche zu können. Er hielt ihr den Becher zum Nachfüllen hin; plötzlich mußte er sich heftig erbrechen und spie die Überreste seiner letzten Mahlzeit über sein Hemd.
    Sie wollte zu ihm eilen, um ihm zu helfen. Fluchend und spuckend warf er den Becher nach ihr. Sie rappelte sich hoch, raffte die Proviantbehälter auf, ließ sie wieder fallen; eine Spur von Packungen und Büchsen hinter sich lassen zog sie sich auf ihren Posten unter den Baumfarnen zurück.
    Reede hockte in seinem eigenen Erbrochenen, ohne die Kraft, sich zu rühren; schließlich mußte er sich wegen des Gestanks wieder übergeben, sein Magen stülpte sich um, bis nichts mehr darin war. Durchnäßt, stinkend und ermattet saß er da und starrte Ariele an, während die Schatten sich langsam verdichteten. Solange er sie beobachtete, aß sie nichts.
    Schließlich konnte er ihre Gestalt in der Dunkelheit unter den Bäumen nicht mehr ausmachen. Einmal glaubte er, sie weinen zu hören, aber er war sich nicht sicher. Er horchte, aber sie schien sich nicht zu bewegen; außer dem Rauschen des Meeres, dem Seufzen der Bäume und dem Pfeifen und Rasseln tief in seiner Brust, das mit jedem Atemzug lauter wurde, war nichts zu hören. Er fragte sich, ob sie schliefe oder ob sie immer noch dahockte, schlaflos wie er ... einsam wie er ... furchtsam wie er ... Am liebsten hätte er nach ihr gerufen, damit sie zu ihm käme und ihn tröstete, ihn während der letzten Nacht seines Lebens in den Armen hielte.
    Sein Schließmuskel öffnete sich, und er wußte, daß er sich in die Hose machen würde. Er rief Ariele nicht. Er sagte sich, er sei froh über den Einbruch der Nacht, weil sie ihn dann in seinem Elend nicht sehen konnte ... und weil ihm sein eigener Anblick erspart blieb. Sollten die Götter sie ruhig noch ein paar Stunden schonen; der nächste Morgen käme früh genug, und dann würde sie ihm glauben und ihn verstehen.
    Seine Beinmuskeln verkrampften sich; unwillkürlich schrie er auf. Er biß in den Ärmelstoff, während er die Beine gewaltsam, Zoll für Zoll, wieder ausstreckte. Er wußte nicht mehr, ob die Luft kalt oder warm war; sein Körper brannte im Fieber, er hatte Schüttelfrost. Durch die Farnwedel konnte er einen Streifen des Nachthimmels sehen, an dem zahllose Sonnen wie Kohlen glühten, wie die zahllosen Atome seines Körpers, die im Feuer der Selbstzerstörung geopfert wurden.
    Er sah, wie der Neumond aufging, sich riesig und dunkel vor die Sterne schob und ein Loch in die Nacht riß. Er gemahnte ihn an das Schwarzes Loch, diese Singularität, die anstelle einer Seele in ihm existierte, seine Persönlichkeit und seinen Lebenssinn auffraß und selbst in diesem Augenblick noch sein Geheimnis vor ihm hütete.
    Als er die Augen schloß, kratzten seine Lider wie Sand über die Hornhaut, und seine Augen fingen an zu tränen, Salzwasser, wie das Meer. Durch das Rauschen seines Blutes in den Ohren vernahm er die Stimme des Ozeans. Er glaubte, die Mers singen zu hören, aber die Mers waren schon längst von hier fortgezogen, in Richtung Norden, einem Ziel zustrebend, das er nun nie mehr erfahren würde ... oder auch einem Schicksal entgegen, das sie für immer verstummen ließe.
    Er fühlte, wie sein Bewußtsein ihm entglitt, und er sträubte sich nicht dagegen; er ließ sich von der Woge tragen, die ihn von seinen Qualen entfernte. Ariele hatte ihm erzählt, wie schön es sei, wenn sie zusammen mit den Mers im Ozean schwamm. Ihm träumte, er sei bei ihnen, sei einer von ihnen – er stimmte in ihre heiligen Gesänge mit ein, folgte ihrem beinahe mystischen Drang, der sie nordwärts nach Karbunkel trieb, wo die Seele des Ozeans lag.
    Diese erschien ihm nun in einer Vision, schimmerte vor seinen Augen durch den schattig-grünen, von blauen Pfeilen durchbohrten Äther seiner Welt; er fühlte, wie die Seele ein- und ausatmete, wie ihre Stimme ihn mit subsonischem Grollen aufforderte, das Tor des Todes zu passieren, das glänzte wie die blitzenden Zähne des Render, bereit, ihm das Fleisch von den Knochen zu reißen und seine Gebeine zu Sand zu zermahlen.
    Doch als sie näher kamen, verstummte die Stimme, wie er es vorher gewußt hatte; jede Bewegung erstarrte; der Rachen klaffte weit auf, lud die Mers ein, ihre Gesänge der Erneuerung anzustimmen, damit sie dafür mit einer weiteren friedvollen

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