Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
›Blaue Allee‹ umbenannt worden und beherbergte aufs neue die Behörden der Außenweltler; hier lagen die Büros der Administration, es war Außenweltlerterritorium, und die Zeiten, in denen sie als kleines Kind hier hin und her gelaufen war, waren endgültig vorbei.
Trotz der späten Stunde waren in der Blauen Allee noch Leute unterwegs, die meisten trugen die blauen Uniformen der Hegemonischen Polizei. Früher durfte sie hier ein und aus gehen, spielen, und niemand hatte das Recht gehabt, sie daran zu hindern. Sie wußte genau, wenn sie jetzt die Straße betrat, würde man sie anhalten, befragen und wieder fortschicken – höflich, weil sie die Tochter der Königin war, aber bestimmt, wie wenn man sie für eine Plage oder Bedrohung hielte.
»Komm weiter, Ari«, drängte Brein und zog an ihrem Arm, als sie sich nicht vom Fleck rührte.
»Warte.« Sie schüttelte seine Hand ab und beobachtete die drei Gestalten, die sich dem Eingang der Allee näherten. Sie waren in ein Gespräch vertieft, und in kein angenehmes, wie man ihnen schon von weitem ansah. Der Mann in der Mitte war BZ Gundhalinu, der Oberste Richter; zu seiner Rechten ging der Polizeikommandant, zur Linken Jerusha PalaThion; sie trug auch eine blaugraue Uniform mit den Abzeichen einer Chefinspektorin.
An diesen Anblick hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt, und auch nicht daran, Jerusha zwischen diesen Fremden mit ihren sonderbaren Gesichtern zu sehen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie anders Jerusha selbst aussah, früher hatte sie den Unterschied nie bemerkt.
Die drei erreichten die Ecke und schritten bergab. Nur Vhanu, der Polizeikommandant, blickte in ihre Richtung; er runzelte kurz die Stirn und schaute wieder geradeaus.
»Hallo, Tante Jerusha«, rief Ariele und hörte, wie das Echo spottend von den Häuserwänden zurückgeworfen wurde.
Jerusha blieb stehen; sie und die beiden Männer drehten sich um. Verdutzt betrachtete sie das Grüppchen schrill gekleideter, junger Tiamataner. Ariele trat einen Schritt vor und wartete dann, bis Jerusha sie erkannte.
»Ariele?« Halb neugierig, halb erstaunt kam Jerusha zu ihr. Ariele lehnte sich gegen Elco Teel und murmelte ihm ein paar Instruktionen ins Ohr. Er nickte und grinste.
»Ariele«, wiederholte Jerusha; Ariele sah, daß die ältere Frau sie mißbilligend anstarrte. »Was hast du mit deinem Haar gemacht?«
Wie Ariele gehofft hatte, kam der Oberste Richter Jerusha hinterher; nur der Polizeikommandant blieb an seinem Platz stehen. Sie merkte, wie Gundhalinu leicht zurückprallte, als er sie erkannte. Seit Monaten hatte sie ihn nicht mehr aus der Nähe gesehen. Hinter ihr murmelte Elco etwas, und ihre Freunde kicherten.
Er war derjenige.
Der Blaue, der ihre Mutter gevögelt hatte, bevor sie geboren wurde. Der ihren Vater, den sie sehr liebte, veranlaßt hatte, sie wie eine Fremde zu behandeln und sich wortlos von ihr abzuwenden. Der nach Tiamat gekommen war, um ihre Familie auseinanderzureißen ...
Sie bildete sich ein, schon wieder den Blick aus Gundhalinus Augen aufzufangen, mit dem er sie bereits früher betrachtet hatte – eine sonderbare Mischung aus Unsicherheit und Sehnsucht. Es steckte kein sexuelles Verlangen dahinter, aber ein Gefühl, das genauso tief und stark war ... so würde ein Mann sein lange vermißtes Kind ansehen. Die Vorstellung verursachte ihr ein flaues Gefühl im Magen. »Hallo, Ariele«, sagte er auf Tiamatanisch; er sprach leise und mit einem leichten Akzent.
Trotzig wandte sie den Blick von ihm ab. »Ich wollte eine Außenweltler-Frisur.« Von Gundhalinu betont keine Notiz nehmend, beantwortete sie Jerushas Frage, während sie mit der Hand durch ihren Schopf kämmte. »Wir lieben alles, was von der Außenwelt kommt.« Sie stemmte die Hände auf die Hüften und stellte im Kreis ihrer herausgeputzten Clique ihre glitzernde Kleidung zur Schau.
»Nur nicht die Außenweltler«, ergänzte Elco Teel giftig, wie sie ihn instruiert hatte.
»Das stimmt«, murmelte sie und legte schmachtend den Kopf an seine Schulter. Dabei lächelte sie zufrieden. »Schade, daß sie nicht alle dort bleiben, wo sie hingehören.« Sie warf Gundhalinu einen gehässigen Blick zu.
Er schaute zu Boden. »Gute Nacht, Jerusha«, murmelte er seiner Chefinspektorin zu. Dann sah er Ariele wieder an, und es kam ihr so vor, wie wenn er noch etwas sagen wollte. Aber er nahm sie nur in Augenschein, wie wenn er sich ihr Bild einprägen wollte. Schließlich drehte er sich um und ging zu dem anderen
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