Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
nach einem Halt suchte.
Hinter ihm befand sich ein Gesteinsvorsprung; er griff danach und spürte den grausamen Zug in den Armen, als sein gesamtes Körpergewicht daran hing. Doch an dem algenüberwucherten, glitschigen Fels rutschten seine Finger ab; er merkte, wie er abstürzte, dem Stunner hinterher, hinein in den felsigen Rachen.
Im Fallen schrie er; er schrie noch einmal, als sein Sturz jählings aufgehalten wurde. Verstört schüttelte er den Kopf; er hatte sich auf die Zunge gebissen und schmeckte Blut. Als sein Blick sich klärte, sah er vor sich schwarzen Fels ... Er war ringsum von schwarzem Gestein umgeben, als stecke er in einem Brunnenschacht fest.
Weit droben erspähte er einen blauen Spalt, mehr konnte er vom Himmel nicht sehen. Seine Hände, die wie Insektenflügel flatterten, versperrten ihm die Sicht. Als er vergeblich versuchte, sie nach unten zu zwängen, durchzuckte ein Schmerz seine gesamte linke Körperhälfte. Wie ein Käfer in einer Pinzette, so saß er eingeklemmt in schwarzem Fels.
Seine Füße berührten keinen Grund, und die Beine konnte er höchstens ein paar Zoll weit bewegen; sie fühlten sich taub an. Angestrengt starrte er nach unten, an den Gesteinszacken vorbei, und sah unruhige Lichtreflexe auf Wasser. Eine Woge rollte in sein Gefängnis, brach sich an seiner Hüfte und durchkühlte ihn bis ins Mark. Das Wasser reichte ihm jetzt fast bis zur Taille ... und die Flut stieg.
Als er das begriff, geriet er in Panik; es war, als sei er in ein Meer aus Säure gefallen, die ihm bereits das Fleisch vom Gebein fraß. In seinen hysterischen Bemühungen, sich zu befreien, verrenkte er sich den Arm, bis der Schmerz ihn blendete, und er nur noch tiefer in Wasser hineingetrieben wurde. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu; krampfhaft schluckend, kämpfte er darum, die Nerven zu behalten. In seinem Rucksack befand sich ein Funkgerät; er konnte Hilfe herbeirufen, doch dazu mußte er es erst zu fassen kriegen. Niburu würde kommen, ihn herausziehen und retten. Die Zeit reichte aus, er mußte nur an seinen Rucksack gelangen.
Wieder versuchte er, seine Position zu verändern, doch dieses Mal war er vorsichtig; um nicht die Balance zu verlieren, tastete er die glatten, unnachgiebigen Wände ab, vergebens nach einem festen Halt suchend. Jede hastige Bewegung verursachte ihm Schmerzen, und seine Verzweiflung wuchs. Mit den Beinen suchte er im Wasser nach einem Stand, doch sie tauchten nur ins Leere.
Sein fruchtloser Kampf dauerte Stunden, doch er wollte nicht wahrhaben, was er im Grunde von Anfang an gewußt hatte: daß es für ihn keine Rettung gab. Auf seiner Armbanduhr, dicht vor seinen Augen, sah er, wie die Zeit vorrückte ... Es war
seine
Zeit, die auslief. Obwohl er am ganzen Körper heftig zitterte, schien er jedes Gefühl verloren zu haben; selbst seine zerschundenen Hände waren taub vor Kälte und Mangel an Blutzufuhr. Das einzige, was an ihm noch funktionierte, war sein Verstand; jede qualvolle, erniedrigende Sekunde seines nahen Endes nahm er wahr.
Er kam nicht an sein Funkgerät heran; und selbst wenn er es jetzt noch erreicht hätte, bliebe für Niburu nicht mehr genügend Zeit, hierherzufliegen und ihn vor dem Ertrinken zu retten. Die kalte, unerbittliche See leckte bereits an seinem Hals.
Er stöhnte leise; seine nutzlosen Hände ballten sich in der Luft zu Fäusten. Wieder schwappte eine Woge in sein Gefängnis, und einen Moment lang umspülte das Wasser sein Kinn. Ein graugrünes, mit Fangarmen bewehrtes Getier klammerte sich an seinen Parka und betastete sein Gesicht mit einer rosafarbenen, pulsierenden Körperausstülpung, ehe es wieder davondriftete. Er schloß die Augen und fühlte, wie sein Mund bebte ... Dann spürte er, wie an seinem im Wasser baumelnden Fuß gerüttelt wurde ... einmal ... zweimal. Fluchend begann er wie wild zu zappeln, bis die Schmerzen ihn wieder lähmten.
Irgend etwas schnellte neben ihm aus dem Wasser. Mit einem Ruck drehte er den Kopf herum – schnappte keuchend nach Luft und starrte in die dunklen, unergründlichen Augen eines Mers. Überrascht schrie er auf, und der Mer neigte den Kopf schräg. Er näherte sich seinem Gesicht, beschnupperte ihn und stubste ihn neugierig mit der Nase an.
»Nein!« Er stieß dem Mer den Kopf ins Gesicht und strampelte mit den Füßen. »Geh weg! Verdammt noch mal, rühr mich nicht an, rühr mich nicht an!«
Erschrocken zuckte der Mer zurück und tauchte unter. Abermals spürte er, wie an seinen Beinen
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