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Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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überlegen fing er an zu klettern; er zog sich hoch, setzte über Spalten, auf seinen Instinkt und seine perfekt ausgeprägten Reflexe vertrauend, wenn er von einem ausgezackten Felssims zum nächsten stieg. Irgendwo hoch über ihm schoß Wasser in einer Fontäne nach oben; eine Welle, die die herandonnernde Flut in einen natürlichen Trichter preßte, und die dann auf ihn herabregnete.
    Tief drunten bewegten sich Schatten, wenn das Meer sich in Gesteinsspalten zwängte und den Fels erbarmungslos unterhöhlte ... nur darauf lauernd, daß er einen falschen Schritt machte. Als er merkte, daß der Stein, auf dem er stand, plötzlich zu schwanken begann, sprang er weiter, um dann schweratmend eine steile Wand hinaufzuklettern.
    Er erreichte den Scheitelpunkt der Gesteinslawine, suchte sich einen festen Halt und hob den Kopf; ungehindert spähte er ins Weite, und endlich sah er sie, wie sie auf ihn warteten.
Die Mers .. .
    Er beobachtete, wie sie sich drunten bewegten, sie waren zu Dutzenden; ihre Stimmen drangen schwach durch das Tosen des Ozeans. Eine namenlose, grundlose Freude füllte die Leere in seinem Geist und in seiner Seele, und er gab einen Laut von sich, der halb Lachen, halb Staunen war. »Ich kenne euch«, flüsterte er. »Ich kenne euch ... ihr gehört mir ...«
    Fluchend schüttelte er den Kopf, die sinnlosen Worte erschreckten ihn. Als er sein Gewehr von der Schulter nahm, verscheuchte eine Anwandlung von Verzweiflung das wilde, tiefempfundene Glück. Plötzlich wußte er, daß er ein infames Verbrechen beging, eine Perversion, eine Selbstverleugnung, die ihn auf ewig verdammen würden. Doch warum diese Tat so schrecklich war, wußte er nicht, er hatte nicht mal eine Ahnung, auf welchem Wege ihn diese Erkenntnis erreichte.
    Die Quelle hatte ihn hergeschickt, um Antworten zu finden; die Quelle verlangte von ihm, daß er einen Mer tötete und dessen Blut analysierte. Wenn er versagte oder sich widersetzte, so stand seine Strafe bereits fest. Ihm war so elend zumute, wie wenn er sich anschickte, sein eigenes Kind zu ermorden. Die Stimme des Meeres klang wie das finstere Gelächter von Göttern, und er wußte, daß sie sich über ihn lustig machten.
    »Ihr seid nichts weiter als Tiere, verdammt noch mal!« Eine Wut stieg in ihm auf und verschlang Angst und Trauer – und jenen anderen Zorn, der ihn daran hindern wollte, diesen Frevel zu begehen. Man hatte ihm befohlen zu töten, und er würde den Befehl ausführen. Er mußte sich nur dieses gesichtslose, seelenfressende, korrupte Monstrum vorstellen, das ihn hierhergeschickt hatte, um in eine mörderische Stimmung zu gelangen; dann wollte er töten, mußte töten ... egal wen, oder was ...
    Er stieg die andere Seite der Gesteinslawine herunter, vorsichtig, jähe Bewegungen vermeidend, um die Mers nicht frühzeitig auf sich aufmerksam zu machen. Er mußte so nahe an sie herankommen, daß er gleich mit dem ersten Schuß einen Mer töten konnte, denn er wußte nicht, wie sie auf den Lärm reagieren würden. Sobald er einen getötet hatte, die anderen jedoch nicht flohen, wollte er sie mit einem Sonar-Scrambler, den die Merjäger immer benutzten, in wilde Panik versetzen und ins Wasser treiben, damit er mit dem Kadaver allein war.
    Mittlerweile hatte er sich ihnen so weit genähert, daß er die Farben ihres Fells deutlich erkennen konnte, die braungescheckten Rücken, das V aus goldenem Pelz auf der Brust der Weibchen. Ihre Köpfe wiegten sich anmutig auf langen, schlanken Hälsen, die Augen blickten ungemein friedlich. Wenn sie auf ihren Flossen über Land watschelten, wirkten sie nicht besonders graziös, doch in ihrem Bemühen und ihrer Würde rührten sie an sein Herz.
Sie sind mir gut gelungen, sie haben eine kräftige Konstitution; ich habe sie gemacht ...
    Wieder begann er zu fluchen und beschäftigte sich mit dem Stunner; er wollte nicht wahrhaben, wie verletzlich die arglosen Kreaturen dort drunten waren – er konzentrierte sich ganz auf seine Wut. Er stellte sich gerade hin, balancierte auf der Felsschräge und legte das Gewehr an. Im Zielfernrohr suchte er sich ein vereinzeltes Tier; dann holte er tief Luft, hielt den Atem an und gab sich selbst den Befehl zum Feuern.
    Zu seiner Rechten sprühte eine Fontäne aus einem Blasloch und regnete auf ihn hernieder. Durchnäßt und geblendet von dem eiskalten Wasser, rutschte er auf der glatten Felskante ab. Er ließ das Gewehr fallen und hörte, wie es die Felsen hinunterpolterte, während er verzweifelt

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