Tief atmen, Frau Doktor!
verheiratete Frau untersucht, die von dieser Praxis ans Krankenhaus überwiesen wurde. Ihnen gegenüber klagte sie, daß sie schon sechs Wochen >nichts gesehen< hätte. Sie war schwanger.«
»Na und?« fragte Freddie. »Was ist daran auszusetzen?«
»Nur daß ihr sie an die Augenklinik überwiesen habt. Oh, ihr seid reizende Ärzte«, sagte Liz liebevoll. »Aber ihr seid alt und eingerostet wie Florence Nightingales Nachttischlampe. Sicher haben Sie irgendwo ein Glas mit Blutegeln versteckt, Freddie. Empfehlt ihr zarten jungen Frauen immer noch, Choleragürtel zu tragen? Oder vielleicht Keuschheitsgürtel?« Sie hob eine klotzartige Apparatur, aus der Drähte hingen, vom abgenützten Teppich auf. »Verwendet ihr das immer noch für Bestrahlungen? Ich würde es nicht einmal verwenden, um einen tiefgekühlten Truthahn aufzutauen.«
»Unsere Patienten scheinen durchaus nicht der Meinung zu sein, daß wir schon zum alten Eisen gehören«, sagte Biggin steif zu ihr. »Wir haben kaum Zeit für unsere nachmittägliche Golfrunde.«
»Natürlich, jeder einzelne von euch hat ja eine Art, Kranke zu behandeln, die ihnen das Gefühl gibt, im Kindergarten zu sein, auch wenn sie in Wirklichkeit auf der Geriatrie sind«, pflichtete ihm Liz edelmütig bei. »Aber glaubt mir, in medizinischer Hinsicht erweist ihr Mitrebury den gleichen Dienst wie eine Grippeepidemie. Warum macht ihr nicht Urlaub?« schlug sie lächelnd vor. »Denkt daran, wie gut das euren Patienten täte.«
Die Ärzte nahmen ihr das nicht übel. Alle drei hatten sie jahrelang angebetet.
»Ich habe ein Geständnis zu machen«, sagte Biggin. »Seit Monaten beabsichtige ich, meine Arbeit als Arzt niederzulegen, aber ich kann euch beide doch nicht im Stich lassen.«
Freddie Fellows-Smith klopfte bedächtig auf die Glasvitrine mit seinem ausgestopften Fasan. »Erinnert ihr euch an Lady Beckenham? Eine meiner Patientinnen.«
»Ja«, sagte Liz. »Sie ist vorige Woche gestorben.«
»Sie hätte eben mit dreiundneunzig keinesfalls radfahren dürfen«, sagte Freddie mißbilligend. »Sie war eine gute Seele mit einem rührenden Glauben an die Ärztekunst, der gewiß nicht fehl am Platz war. Mit rüstigen achtzig machte sie ihr Testament. Sie vermachte alles mir. Ihr ganzes Vermögen. « Er setzte eine entschuldigende Miene auf. »Damit ich meinen Neigungen nachgehen kann - ich habe schon zwei neue Gewehre bei Purdey bestellt. Aber ich konnte mein Stethoskop nicht an den Nagel hängen, ohne
mir vor meinen Kollegen wie ein Schuft vorzukommen.«
»Alles, was ihr braucht, ist eine Vertretung«, setzte Liz ihnen auseinander.
»Könnte Schwierigkeiten bereiten«, überlegte Biggin. »Wir müssen Ärzte von Rang und Würde finden.«
»Oh, ich weiß, daß ihr alle euch würdevoll genug für das Schlafgemach der Königin vorkommt«, sagte Liz zu ihm. »Aber wenn ihr mich fragt, seid ihr nur aufgeblasene Wichtigtuer.«
»Wichtigtuer?« wandte Freddie ein. »Genau diesen Ton gewöhnt man sich an, wenn man mit Geistlichen spricht, die nichts anhaben.«
»Die Kirche ist wirklich sehr wählerisch, was ihre Ärzte betrifft«, fuhr Biggin fort. »Merkwürdig, wo man doch glauben möchte, sie hätten es alle so eilig, in den Himmel zu kommen.«
Roland Carmichael erhob sich vom schäbigen Lehnstuhl und nahm ein gerahmtes Foto von der Wand, das eine Gruppe von Krankenhausärzten zeigte. Mit viel Geduld konnte man darauf vielleicht die jugendlichen Milchgesichter der drei Ärzte ausnehmen.
»Unser Jahr im St. Bonifaz-Krankenhaus.« Er schwelgte in Erinnerungen. »Wir haben erfahren, daß zwei unserer Studienkollegen vor kurzem die Geburt zweier junger Ärzte anzeigten.« Sein Finger zeigte auf einen mageren, ernsten, dunkelhaarigen jungen Mann auf dem alten Foto. »Das ist der >lange Liston<.«
Freddie zeigte auf einen hellhaarigen Muskelprotz. »Und das ist >Ruckzuck-Drake<.«
»Auf ihre Gene könnten wir uns bestimmt verlassen«, sagte Biggin beipflichtend.
»Wenn der junge Drake nach seinem Vater schlägt, ist er sicher ein guter Rugbyspieler und hat eine schöne Stimme für unanständige Lieder.« Freddie summte nostalgisch ein paar Takte aus Frau Wirtin hätt' ein Töchterlein, wovon Liz mehr der endlos fortlaufenden Strophen kannte als er.
»Und Liston... nun ja, ein Streber. Dunkel, spindeldürr und künstlerisch angehaucht. Liest Bücher, ihr versteht.«
»Und wo sind diese Hippokrates-Grünschnäbel?« fragte Liz.
»Keine Ahnung.« Roland hängte das Foto wieder auf.
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