Tief atmen, Frau Doktor!
Harley Street aus wäre deren Dankbarkeit in alle Teile der Welt zurückgeströmt. Sie begnügte sich mit dem gesetzten, friedlichen Mitrebury, das sie liebte - und manchmal haßte, und das sie manchmal langweilte, was sie noch schlimmer fand.
Da sie heikel war, was den feierlichen Rahmen betraf, wenn sie Studenten zu prüfen hatte, trug sie ein teures grünes Kleid von betont schlichter Eleganz, in der Art, wie sie junge Mitglieder der Königsfamilie zu Grundsteinlegungen auswählen. Im Geiste befand sie sich bereits bei der Sitzung, die am selben Abend stattfinden sollte. Tags zuvor, gleich nach ihren Operationen im Krankenhaus, hatte sie den Dekan des St. Bonifaz-Krankenhauses angerufen.
Die Ärztebar im St. Bonifaz-Krankenhaus war neben dem Speisesaal, klein, dunkel getäfelt, an den Wänden Fotografien von Sportler-Teams, deren Ruhm vergessen war, und Porträts von berühmten Ärzten von St. Bonifaz, die ihren Patienten in den Himmel oder in die Hölle nachgefolgt waren. Um sechs Uhr warteten Dr. Drake, jung und blond, und Dr. Liston, dunkelhaarig, bereits nervös auf sie.
»Einen trockenen Sherry, bitte«, sagte Dr. Drake.
»Wodka mit Eis«, bestellte Dr. Liston.
»Das Übliche, einen Sekt Orange, Albert« , sagte Liz zum Mann hinter der Theke. »Ich nehme an, der Dekan hat Ihnen die Situation in Mitrebury geschildert?«
Beide Ärztinnen nickten.
Sie fuhr fort: »Mitrebury selbst kann ich nur als schläfriges Nest bezeichnen. Und die alte Stiftspraxis als medizinisches Neandertal. Der alte Doktor ist ein passionierter Jäger, obgleich ich mich manchmal frage, ob er nicht mehr Menschen als Tiere umbringt.«
»Wir haben uns große Sorgen gemacht«, sagte Dr. Drake.
»Ob wir genügend medizinische Kenntnisse für die Praxis aufweisen«, erklärte Dr. Liston.
»Sie haben gerade Ihren Turnus im Krankenhaus abgeschlossen, nicht wahr? Also sind Sie den Vorschriften entsprechend auf Gedeih und Verderb auf die Patienten losgelassen - oder bis daß der Tod euch unglücklicherweise scheidet.« Liz nippte an ihrem Sekt Orange. »Wenn man im Krankenhaus arbeitet, gehört man einer Armee in weißen Kitteln an. Der Beruf eines praktischen Ärztes bedeutet Guerillakrieg. Er erfordert Persönlichkeit und Geistesgegenwart. Aus dem, was der Dekan mir am Telefon sagte, schließe ich mit Sicherheit, daß Sie beides besitzen.«
Dr. Listons dunkle Wimpern flatterten. »Mrs. Arkdale - gesetzt den Fall, wir würden wirklich praktische Ärzte werden, könnten Sie uns einen guten Rat geben?«
»Sicherlich. Den besten und ältesten. Es ist in Ordnung, einen Patienten ins Bett zu stecken, aber nicht, mit ihm ins Bett zu gehen. Sie sind beide unverheiratet - warum?«
Dr. Drake stieß einen romantischen Seufzer aus. »Ich hätte vorigen Monat heiraten sollen. Aber mein geliebter Roddy wanderte aus, um in Kalifornien zu praktizieren. Er ließ seine Taschenbuchsammlung, seine Andre Previn-Platten, seinen Kricketschläger und mich zurück. In seinem neuen Leben ist für uns kein Platz mehr.«
Liz fühlte mit ihr. »Ich weiß, daß Sie zuallererst Ärztin und dann erst Frau sind. Aber jede junge Frau trägt ein Bild mit sich herum - wie ein viktorianisches Medaillon - auf dem sie sich ganz in Weiß am Kirchentor sieht, an einem herrlichen Nachmittag, und alle schauen bewundernd zu. Tragen Sie nie einen BH?« fragte sie Dr. Liston streng.
»Nur bei Prüfungen und Obduktionen.«
»Unter anderem werden Sie auch die theologische Akademie ärztlich zu behandeln haben. Ich befürchte, daß die Studenten unter diesen Umständen umfallen werden wie die Fliegen. Ich hab's eilig.« Sie trank aus. »Ich erwarte Drillinge. Nichts Kompliziertes. Aber erwartet man eine schwierige Geburt, dann geht es mit den Babys wie mit Korken in schlechtgekühlten Sektflaschen. Bei solchen, von denen man glaubt, daß sie herauskommen wie Erbsen aus den Hülsen, hat man am Ende das Gefühl, als ob man sich an einem heißen Nachmittag Reitstiefel ausziehe. Ich wollte Sie mir nur ansehen und Ihnen vorschlagen, am Freitag nach Mitrebury zu kommen, um den Laden unter die Lupe zu nehmen. Es gibt eine Bar im Zug. Oh! Eines müssen Sie in Mitrebury unbedingt tun, versprechen Sie es mir?«
»Ja, Mrs. Arkdale?« fragten die beiden gespannt.
»Sich das Fächergewölbe in der Marienkapelle ansehen. Dreizehntes Jahrhundert. Phantastisch.« Sie stand auf. »Übrigens, habe ich ihnen das schon gesagt? Die drei Ärzte, die Sie vertreten sollen, sind der Meinung, daß Sie
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