Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
zusammen, wenn ich mein Gesicht mache. Er sah mich unsicher an.
»Ja?«
»Rolfi, kann es sein, dass du in deinem Zimmer etwas versteckt hast, das keiner finden soll?«
Er sah mich an.
»Na ja, hast du da was versteckt vor uns?«
»Weiß ich nicht. Was glaubst du denn, was ihr nicht finden sollt?«
»Das frag ich dich ja gerade.« Dann versuchte ich es anders. »Wie ist das so mit deinen Freunden?«
Schweigen.
»Pass auf, Rolfi, machen wir’s kurz, ich hab auch nicht endlos Zeit.«
Rolfi guckte auf den Boden.
»Oma Ilse hat Zigaretten und ein Haschischpäckchen in deinem Zimmer gefunden, und ich würde ganz gern wissen, von wem du das hast.«
Wieder Schweigen. Ich musste an Guantánamo denken. Aber so weit waren wir noch nicht.
Rolfi begann, an seinen Fingernägeln zu knabbern.
»Rolfi, lass bitte diese Übersprunghandlungen und antworte einfach.«
Er guckte mich an. »Was soll ich lassen?«
»Du knabberst an deinen Nägeln rum, lass das bitte.«
Immer noch Schweigen.
»Woher hast du das Zeug? Hast du schon mal Bilder von Drogentoten gesehen? Oder von jemandem, der Lungenkrebs hat? Raucherbeine? Wenn sie den Rauchern die Beine abschneiden müssen? Das solltest du dir mal ansehen, damit du weißt, was du dir damit antust. Wie leichtfertig du mit deinem Leben umgehst …«
»Ja, Mami, ich hab’s verstanden.«
»Von wem hast du das Zeug?«
»Weiß ich nicht mehr!«
»Herrgott noch mal, ich hab jetzt auch wirklich keine Zeit mehr. Dass man in dieser Familie zu niemandem durchdringt, das ist wirklich deprimierend. Aber wir sind noch nicht miteinander fertig, mein Sohn!«
Ich ließ ihn sitzen und ging zurück ins Schlafzimmer, um mich wieder meinen Geschenken zu widmen. Von unten ertönten die neuesten Songs aus der Schlagerhitparade. Hans-Dieter war der Einzige, der sich diesen Wahnsinn freiwillig antat.
Ich nahm den Pullover, den sich Rolfi zu Weihnachten gewünscht hatte, und versuchte, ihn in ein etwa handtellergroßes Stück Geschenkpapier zu wickeln. Blieben noch vier Geschenke. Mir war das Papier ausgegangen. Ich lief nach unten, schnappte Geralds alte Zeitung und wickelte die restlichen Geschenke kurzerhand damit ein. Mit ein paar Schleifchen versehen, wirkte das richtig originell. Vielleicht sollte ich öfter meine Geschenke in Zeitungspapier packen, man hatte keinen Stress und viel Geld gespart.
Ich ging ins Bad und wusch mir die Druckerschwärze von den Fingern. Dabei blieb mein Blick im Spiegel hängen. Ich sah wirklich furchterregend aus. Rose hatte recht gehabt. Krähenfüße, Falten, die sich links und rechts von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zogen, die griesgrämig und schlaff nach unten hingen, der Hals wie der einer gerupften Pute und der Haaransatz graugrün, weil ich meine ehemals blonden Haare mit ein bisschen Henna aufgepeppt hatte.
Ich sah schrecklich aus. Ich griff in mein Schminkköfferchen und versuchte seit gefühlten zehn Jahren zum ersten Mal, mein Gesicht ein bisschen zu restaurieren. Das Make-up war zu dunkel und bröckelte, der Mascara war so alt, dass er kaum noch auf den Wimpern haften blieb, aber der Lippenstift war richtig toll. Leuchtendes Rosé mit ein bisschen Glimmer drin. Mir fiel auf, dass die Farbe ganz phantastisch zu unserem Weihnachtsschmuck passte. Ich bürstete mir die Haare, trug auf den grauen Ansatz zum Abdecken auch noch etwas Make-up auf und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Besser! Der Kopf passte zwar nicht ganz zum Rest, weil sich meine Gesichtsfarbe deutlich von der des Halses unterschied, aber Skifahrer sehen ja auch immer so aus.
Ich sprühte mich noch mit meinem Körperwasser aus dem Bioshop ein und lächelte. Es roch ein bisschen streng, aber weil es Bio war, war es sicher auch gut. Jedenfalls für die Umwelt. Außerdem trug es den verheißungsvollen Namen »Dance with me«. Deswegen hatte ich es gekauft. Ich fand den Namen so romantisch.
Ich schloss die Augen und sah mich in einem langen schwarzen Abendkleid, über den Schultern eine kleine Stola aus weißem Hermelin, diese hohen Schuhe mit der roten Sohle, die ganz und gar unbezahlbar sind, mein Gesicht strahlend und glatt, perfekt geschminkt, das rötliche Haar zu einem dicken Zopf geflochten. Ich stehe in einem riesigen Tanzsaal, um mich herum Hunderte schwatzender Paare. Dann erklingt Musik, alle Männer lassen ihre Frauen stehen und laufen auf mich zu. Sie schubsen sich gegenseitig, fallen übereinander, raffen sich wieder auf und rennen weiter, denn jeder möchte
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