Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
als Erster bei mir sein und mich zum Tanz auffordern. Und dann spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, drehe mich um und sehe auf eine muskulöse Brust unter einem engen weißen Hemd. Ich blicke hoch und schaue in das Gesicht eines Mannes, der aussieht wie Robert Redford in seinen besten Jahren. Ich schlucke und blicke zu Boden. Da nimmt er meine Hand und sagt mit tiefer, melodiöser Stimme: You are so beautiful, young lady, dance with me. I love you.
»Gundula!«
Ich schrak hoch. Jemand rief mich, die Stimme kannte ich, aber sie war definitiv nicht melodiös.
»Gundula! Der Pizzaservice ist da, wohin mit dem ganzen Zeug?«
Gerald.
Ich guckte ein letztes Mal in den Spiegel und der Wahrheit ins Gesicht.
Ich war definitiv nicht die Frau meiner Träume. Offen gestanden: Ich sah absolut scheiße aus.
»Ja! Ich komme!« Damit verließ ich das Badezimmer, raffte meine Geschenke zusammen und rannte nach unten.
14.
Kapitel
Man konnte den Pizzaboten nicht erkennen, weil sein Oberkörper von den zehn Pizzakartons, die er auf den Armen trug, verdeckt wurde. Keiner hatte ihn hereingebeten oder ihm seine Last abgenommen. Gerald hatte ihm wahrscheinlich die Tür geöffnet und ihn dann einfach stehen lassen. Das war wieder typisch! Während Othello quiekend an den Hosenbeinen des Mannes zerrte, schlabberte Gulli an dem untersten Karton herum, der schon ganz durchgeweicht war.
Gerald, Rose, Susanne und Hans-Dieter saßen auf der Couch. Bis auf meinen Bruder hatten alle hochrote Köpfe und schrien sich fröhlich über die Hitparade hinweg an. Vor ihnen stand eine leere Flasche Sekt.
Der Pizzamann stöhnte: »Kann mir vielleicht mal jemand helfen?« Danach machte er todesmutig einen Schritt in Richtung Küche und stürzte mir in hohem Bogen entgegen. Othello hatte ihn stolpern lassen. Die Pizzakartons wirbelten durch die Luft und klatschten auf den Boden. Die Hunde schnappten sich blitzschnell eine Pizza und rannten um ihr Leben.
»Gerald!« Während ich dem Boten wieder auf die Beine half, kamen meine Eltern durch die Haustür. »Um Gottes willen, was ist denn hier los?«
»Einbrecher«, sagte mein Vater trocken.
Ich bezahlte, wünschte frohe Weihnachten und ließ den Boten aus dem Haus.
Dann versammelten sich die Hungrigen im Wohnzimmer und aßen kalte Pizzaecken. Gerald, Susanne, Rolfi und Matz waren vor Begeisterung kaum zu bremsen. Susanne sagte immer wieder: »Esst, Kinder, so billig kommen wir nie mehr zusammen.« Und dann lachte sie sich halb tot. Sie war schon ziemlich hinüber. Ihre Dauerwelle hatte sich selbstständig gemacht, und die rosafarbenen Löckchen standen in alle Himmelsrichtungen. Sie sah aus wie ein altes Schaf, das jemand an die Steckdose angeschlossen hat. Warum nur ähnelten alle Frauen der Familie Schafen? »Hach, Jungs, ist das koomisch! Eure alte Mutter muss jetzt mal ein Päuschen einlegen, sonst passiert etwas Schreckliches!«
Sie warf sich zurück, krallte ihre Hände in die Sofalehne und schloss die Augen. »Gott, ist mir übel!«
Ich überlegte, ob ich den Teppich rund ums Sofa etwas beiseiterollen sollte.
Da sagte mein Vater: »Da hilft nur eins, gnädige Frau, immer weitermachen …«
Er betrachtete sie fasziniert und hielt ihr sein halb volles Glas hin. »Edgar, du Schlawiner, du gibst wohl nie auf, was?«
Meine Mutter hüstelte. »Ja, in seinem Alter kann ihn nichts mehr schrecken.«
»Sei doch nicht so ekelhaft, Ilse. Werd mal ein bisschen locker!«
Susanne setzte sich auf und griff lächelnd nach Edgars Glas. »Danke schön! Was für ein Service! Da kann ich natürlich nicht Nein sagen.« Sie lächelte zuckersüß.
»Immer zu Ihren Diensten, schöne Frau«, sagte mein Vater und schaute ihr verzückt in den Ausschnitt.
Natürlich hatte sich Geralds Mutter für den Abend besonders herausgeputzt.
Sie trug ein lavendelfarbenes Flatterkleid mit Flügelärmeln. Der Ausschnitt reichte fast bis zum Bauchnabel, und die runzlige Haut ihres Dekolletés quoll aus dem spitzenbesetzten knallroten BH . Sie hatte großes Interesse daran, auch im Alter noch sexy und ungezügelt zu wirken. Und wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich, dass sie nach wie vor mit mir um Gerald konkurrieren wollte.
Meine Mutter gab sich größte Mühe, die Contenance zu wahren, schnitt meinem Vater die Pizza in mundgerechte Stückchen und rümpfte nur ab und zu wortlos die Nase über Susannes Kommentare.
Wenn sie sich zusammenreißen möchte, kriegt sie das eigentlich immer hin. Das Problem ist, dass sie
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