Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
kalt.«
»Siehst du, Gundula, so ist es immer mit dir. Du gehst den Dingen nicht auf den Grund.«
»Das stimmt nicht, ich gehe den Dingen wahrscheinlich mehr auf den Grund, als der Rest der Familie Dingen auf den Grund geht. Aber heute ist Weihnachten, und das Haus ist voller Leute, da hab ich jetzt keinen Kopf für was anderes.«
»Schon klar.«
Wir hatten die Haustür erreicht, und ich wollte gerade aufschließen, aber jetzt hielt ich inne und sah ihn an. »Was meinst du damit?«
»Du hast immer für alles Ausflüchte.«
»Ich finde das jetzt so scheiße von dir.« Ich wurde wieder lauter. »Warum willst du unbedingt streiten?«
»Ich will doch gar nicht streiten! Aber wenn du jetzt wieder vulgär wirst, habe ich auch keine Lust mehr, noch weiter mit dir zu reden.«
»Dann sag mir doch mal, was das hier werden soll!«
»Gundula, es hat keinen Sinn, lass uns aufhören.«
»Ja klar. Weil du jetzt keine Lust mehr hast. Weil es dir zu sehr an die Substanz geht …«
»Liebes, bitte … schrei doch nicht so, ich …«
»Ich bin nicht lieb. Ich habe den Hals gestrichen voll!« Ich fuhr mir mit der Handkante über den Hals. »Bis hier steht es mir, das kannst du mir glauben!«
»Gut. Lassen wir’s einfach.«
Gerald sah richtig zornig aus. Er ging aufgebracht ins Haus, zielstrebig Richtung Keller. Ich konnte mir denken, warum. Im Keller lagerte der Alkohol. Konnte er sich ja seiner versoffenen Mutter anschließen!
17.
Kapitel
»Mami, schau mal, ist das cool?«
Rolfi war außer sich vor Glück. Er hatte die Taschenlampe auf einen kleinen Hocker geklemmt und bestrahlte damit den unteren Teil des Weihnachtsbaums. Und zwar in Intervallen. »Schick, ich wusste gar nicht, dass Taschenlampen auch in Intervallen leuchten können!«
»Mami, wann gibt’s die Geschenke?« Matz kam gerne schnell zur Sache.
»Was ist eigentlich aus Rüssel geworden? Sitzt der noch unterm Schrank?«, fragte ich zerstreut.
»Keine Ahnung, ist zu dunkel da unten. Und Rolfi gibt mir die Taschenlampe nicht.«
»Das war ein Geschrei, da hast du wirklich was verpasst, Gundula. Die beiden haben sich wegen der Taschenlampe fast die Köpfe eingeschlagen.«
Meine Mutter räumte gerade die Pizzakartons vom Tisch.
»Wo soll das hin?«
»In die Mülltonne.«
»Das ist mir klar, Gundula. Ich hätte sie jetzt auch nicht unter den Christbaum gelegt.«
»Warum fragst du denn dann?«
»Weil ich nicht weiß, wo die Mülltonne ist.«
»Immer noch da, wo sie auch letztes Jahr war. Am Gartentor.«
»Na, dann sag das doch gleich.«
»Lass mal, Mutti, ich mach das schon.« Ich versuchte, ihr die Pakete aus der Hand zu nehmen. Sie hielt sie fest.
»Ich kann das schon selbst!«
»Ja, das weiß ich. Aber bei mir geht es jetzt einfach schneller.« Das war der falsche Satz, das wusste ich, als ich das Gesicht meiner Mutter sah. So ging der Abend unaufhaltsam den Bach runter. Aber mir schwanden langsam die Kräfte.
»Ach so, ich bin dir zu langsam. Ich dachte, heute wäre mal etwas mehr Zeit für alles. Aber egal. Du bist natürlich schneller.«
Ich seufzte, nahm ihr den Packen aus der Hand, und mein Blick fiel auf meine Tochter, die sich in ihre Klatschzeitung vertieft hatte.
»Ricarda, kannst du das mal raustragen, bitte?« Ich legte ihr die Kartons in die Arme.
»Warum muss immer ich alles machen? Matz und Rolfi müssen nie!«
»Die Jungs haben gerade die Weihnachtsbeleuchtung organisiert.«
»Wahnsinn. Wie anstrengend. Und ich soll jetzt den Müll rausbringen. Das ist einfach unfair.« Sie hielt mir die Kartons unter die Nase.
»Passt auf, dann lasst es einfach alle. Warum solltet ihr euch auch am Weihnachtsabend besser benehmen als sonst?« Ich schrie wieder. Aber egal.
Ich nahm Ricarda den Stapel wieder ab und rauschte damit durch die Tür.
Meine Mutter rief mir nach: »Gundula, findest du das gut, wie du mit denen umgehst?«
»Mit denen?«
»Na, mit den Kindern, mit wem denn sonst!«
»Mutti, die Kinder haben auch Namen, und halt dich bitte da raus.«
»Ich sag gar nichts mehr. Ich mische mich doch nicht in dein Leben ein. Hab ich noch nie gemacht, Gundula. Aber Erziehung muss auch ein Frustrationsprozess für Kinder sein. Sonst finden sie keine Grenzen.«
Ich verstand nicht.
»Aber das ist heute wahrscheinlich anders«, setzte meine Mutter noch hinzu.
»Vielleicht.« Vielleicht zu sagen war immer ein guter Trick, um die Situation zu entschärfen. Man widersprach nicht, gab aber auch nicht wirklich klein
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