Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
wir ihn noch mal gefunden? Bei Villeroy & Boch? Ach nein, bei diesem Antiquitätenhändler … weißt du nicht mehr?«
»Was?«
»Der Rahmen da, wo wir den gekauft haben, möchte deine Tochter wissen!«
Mein Vater stand auf und sah sich den Rahmen näher an. »Na so was.«
»Was meinst du mit ›na so was‹?«
»Wo kommt denn der auf einmal her?«
Sie wurde sichtlich nervös, weil mein Vater sich plötzlich an etwas zu erinnern schien. Sie wollte ihn wieder in seinen Sessel zurückschieben, aber mein Vater ließ sich nicht mehr ablenken.
»Das hat dir doch mal deine Mutter geschenkt. Vor ewigen Zeiten. Ziemlich scheußlich das Ganze. Müssen wir den wieder mitnehmen wie das letzte Mal, als wir Marlene und Harald besucht haben?« Mein Vater steckte voller Überraschungen.
»Edgar, spinnst du? Was du manchmal für einen Quatsch erzählst …« Meine Mutter stieß einen kurzen hysterischen Lacher aus.
»Ilse, ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du vor diesen ganzen Leuten einen anderen Ton mir gegenüber anschlagen würdest.«
»Das tue ich gern, wenn du endlich mal aufhören würdest, solchen Unsinn zu erzählen.«
»Das ist kein Unsinn, Ilse.« Mein Vater stand auf und ging hinaus. Warum folgte ihm eigentlich nie jemand?, fragte ich mich. Aber im Moment war es im Wohnzimmer einfach zu spannend.
Susanne machte ihre typische ausladende Armbewegung, als wollte sie die ganze Welt umarmen, und seufzte: »Ach, Kinder, wir werden uns doch an Weihnachten nicht wegen eines unsinnigen Weihnachtsgeschenks streiten. Das weiß man doch, dass man da selten ins Schwarze trifft. Und schaut doch nur, dieser Baum! Der ist wirklich wunderschön! Geraldchen, gibst du deiner alten Mutter noch einen kleinen Schluck, ja, mein Schatz?«
»Natürlich, Mutti.« Er schenkte ihr nach und hob sein Glas. »Auf dich, Mutti! Schön, dass du da bist!«
»Ach, mein Süßer, jetzt übertreib nicht! Aber es ist schön, dass wir alten Schachteln immer noch zu den Familienfesten eingeladen werden!« Sie wandte sich an meine Mutter. »Ich meine, guck uns doch an, Ilse! Das ist nun wirklich kein schöner Anblick mehr!« Sie trank ihr Sektglas in einem Zug leer. »Herrje, was sind denn das für Eierbecher, da passt ja gar nichts rein!« Sie hielt Gerald wieder das leere Glas hin.
Meine Mutter saß kerzengerade in ihrem Sessel und nippte an ihrem Sekt-Orange. Sie tat so, als hätte sie Susanne nicht gehört.
»Oma, danke! Cool!« Ricarda tauchte wieder aus der Versenkung auf und wedelte mit einem Zwanzigeuroschein.
»Gern, Ricarda, vielleicht kaufst du dir davon was Ordentliches zum Anziehen. Du kommst jetzt in das Alter, wo du auch an später denken solltest.«
»Was meinst du damit?«
»Sie meint, dass du, wenn du weiter so rumläufst, keinen mehr abkriegst«, sagte Rolfi.
»Rolfi, halt die Klappe«, sagte ich.
Gerald sah mich missbilligend an.
»Was guckst du so, Gerald?«, giftete ich ihn an.
»Ich gucke nicht. Ich finde nur, du solltest den Kindern gegenüber einen anderen Ton anschlagen.«
»Weißt du, du kannst dich gern selbst am Gespräch beteiligen, wenn dich mein Umgangston stört, Gerald. Du bist hier schließlich nicht zu Besuch, auch wenn dir das wahrscheinlich lieber wäre.«
»Wie redest du denn mit Gerald!«, rief Susanne.
»Lass gut sein, Mutti«, sagte Gerald und sah auf den Baum, der noch immer an der Wand lehnte.
Dann stand er auf, stöpselte die Taschenlampe aus und den CD -Player ein.
»Was machst du da?«, fragte ich.
»Musik.«
Er drückte auf den Knopf, und »Mendocino« von Michael Holm erfüllte den Raum.
»Bist du noch ganz dicht?«, rief ich. »Kannst du vielleicht erst mal fragen, ob wir das auch hören wollen?«
»Warum?«
»Warum? Es ist Weihnachten!«
»Eben. Da höre ich lieber dem Michael Holm zu als dir.«
»Wieso hab ich nur zehn Euro gekriegt?«, ertönte mit einem Mal Rolfis Stimme.
»Weil du jünger bist«, sagte meine Mutter.
»Ich hab nur fünf gekriegt, davon kann ich mir überhaupt nichts kaufen«, maulte Matz.
»Kinder, man sagt: Danke, liebe Oma Ilse, danke, lieber Opa Edgar, für das schöne Weihnachtsgeld.« Sind andere Kinder auch so? Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, bei der Erziehung alles falsch gemacht zu haben.
Mein Vater kam zurück. Er hatte noch eine Flasche Sekt mitgebracht. Ich sah Gerald an. Er nippte an seinem Glas und wiegte sich im Takt der Musik.
»Gerald?«
Er rührte sich nicht.
»Gerald?«
Mein Mann öffnete die Augen und sah mich an, als
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