Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
käme ich von einem anderen Stern.
»Es wäre schön, wenn du dich auch mal an den Gesprächen beteiligen könntest.«
»Jetzt lass ihn doch mal, Gundula. Er arbeitet immer so hart, da wird er sich doch mal ausruhen dürfen!« Susanne streichelte ihrem Sohn über die Wange.
»Ich möchte aber gern, dass mein Mann sich wenigstens an Weihnachten an den Gesprächen beteiligt.«
»Nun lass ihn doch. Männer muss man auch mal in Ruhe lassen, sonst sind sie irgendwann weg.«
Ich verstand nicht.
»Sie treten die Flucht an. Männer wirken immer so stark, aber in Wahrheit sind sie viel sensibler als wir Frauen. Gerald ist besonders sensibel. Das hat er von seinem Vater.«
»Ja, stimmt. Otti ist ja auch ab und zu abgehauen, weil er dich nicht mehr ertragen hat«, sagte meine Mutter.
»Ilse, würdest du mich bitte mal darüber aufklären, woher deine Aggression mir gegenüber rührt? Ich rede doch gerade gar nicht mit dir.«
»Nein, du redest nicht mit mir. Du redest mit niemandem hier. Die Einzige, mit der du ständig redest, bist du selbst. Du führst ununterbrochen Selbstgespräche.«
Ich biss mir auf die Lippen und beschränkte mich darauf, unsere Mütter zu beobachten. Beide hatten sich zornig aufgerichtet.
»Wenn du jetzt wieder mit der alten Geschichte anfangen möchtest … Dazu habe ich keine Lust«, sagte Susanne.
»Welche von den vielen alten Geschichten meinst du genau, Susanne?«
»Was weiß ich, warum du jetzt wieder streiten willst!«
»Ich streite doch nicht. Ich habe lediglich gesagt, dass du Selbstgespräche führst, die keinen interessieren.«
Mein Vater sagte: »Ilse, was ist denn nur los mit dir? Du wirst dich doch jetzt hoffentlich etwas zusammenreißen und unsere Freundin hier nicht so angreifen.« Er beugte sich vor und sah Susanne zärtlich ins Gesicht. »Nehmen Sie es ihr bitte nicht übel, sie verliert manchmal die Kontrolle über sich.«
»Du spinnst doch wohl, Edgar! Glaubst du, das merke ich nicht, dass du dich schon wieder auf Susannes Seite schlägst, ohne auch nur im Geringsten zu begreifen, worum es überhaupt momentan geht?«
»Ilse, jetzt beruhige dich doch. Wir sind alle gerade wirklich etwas ratlos. Vielleicht solltest du nichts mehr trinken …« Susanne strich den Saum ihres Kleides glatt und lächelte vor sich hin.
»Das sagst du, ja? Ausgerechnet du! Du hast doch schon immer gesoffen wie ein Loch!« Meine Mutter war außer sich und knallte ihr Glas mit solcher Wucht auf den Tisch, dass der Stiel abbrach.
»Ach ja? Na, wenn dem so ist … Edgar, hast du noch ein Schlückchen für deine alte Freundin?«
»Natürlich, Liebes.« Er sah ratlos auf die ungeöffnete Sektflasche. »Das heißt, dazu brauchen wir den Kellner noch mal. Das ist ein Spezialverschluss. Da haben die hier in Frankreich ihre eigenen Methoden.«
»Das Land der Liebe …«, flötete Susanne. Sie war wirklich erstaunlich flexibel.
»Du bist das Letzte, Susanne! Du solltest dich schämen!« Meine Mutter verlor nun wirklich die Fassung. »Du schaffst es immer wieder, dieses Thema aufs Tapet zu bringen!«
»Ich mach doch gar nichts!«
»Du brauchst das, oder? Diesen Triumph! Du musst es mir bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot schmieren, was?«
»Mami«, sagte ich kleinlaut, »was ist denn bloß los?«
»Lass mich!« Meine Mutter sprang auf. »Wenn er damals nur bei dir geblieben wäre, dann hätte ich jetzt meine Ruhe! »
»Wer?« Susanne machte große unschuldige Augen.
»Das weißt du ganz genau! Widerlich, wie du dich benimmst! In deinem Alter. Schämen solltest du dich!«
Damit rannte sie raus und knallte die Tür hinter sich zu.
Es folgte ein langes, betretenes Schweigen.
Ich fasste mich als Erste. »Also, ehrlich gesagt, finde ich das jetzt schon etwas heftig, Susanne. Du musst doch nicht jedes Mal wieder mit der Geschichte anfangen. Wir wissen doch alle, was damals passiert ist.«
»Ach, und nur weil Edgar sich jetzt nicht mehr dazu äußern kann, bleibt alles an mir hängen?«
»Nein, das behauptet ja niemand. Aber lass uns doch einfach nicht mehr darüber sprechen, was damals passiert ist.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Matz.
»Frag nicht so blöde«, sagte Ricarda.
»So. Was machen wir denn jetzt mit dem angebrochenen Abend? Wo bleibt der Kellner? Wir müssen langsam mal die Bestellung aufgeben.« Mein Vater stand wieder auf.
»Lass mal, Papi, ich mach das schon«, sagte ich, nahm ihm die Flasche aus der Hand und ließ sie Gerald in den Schoß fallen.
»Autsch,
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