Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
lehnte mich gegen die Tür. Keine Ahnung, wie lang mein Vater schon dort saß.
»Mami, was ist?« Matz kam die Treppe heruntergerannt. »Warum ruft ihr so laut?«
»Opa hat sich im Klo eingesperrt.«
»Echt? Cool.«
»Matz, das ist nicht cool. Ich krieg ihn da nicht mehr raus. Er hat vergessen, wie man Türen aufschließt.«
»Ist ja krass.«
»Tu mir einen Gefallen, und sag nicht immer zu allem krass und cool, das macht mich ganz verrückt.«
»Ricarda und Rolfi sagen das auch immer.«
»Eben.«
»Hallo!« Wieder die Stimme meines Vaters.
»Oh, mein Gott. Was mach ich denn mit ihm?«
Aus dem WC kamen jetzt merkwürdige Geräusche. Erst ein Quietschen, dann ein Knall und schließlich ein Stöhnen.
Die Augen meines Sohnes waren groß wie Untertassen. »Mami! Du musst Opa helfen!«
Ich lief ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und warf mich dann mit voller Wucht gegen die Tür. In meiner Schulter knackte etwas, ganz leise, aber sehr schmerzhaft. Ich lief noch einmal und nahm die andere Schulter. Natürlich bewegte sich die Tür keinen Millimeter.
Vom Lärm angelockt, kam meine Schwiegermutter auch die Treppe herunter. »Gundula, was machst du da?«
»Opa kommt nicht mehr aus dem Klo! Er hat vergessen, wie das geht!«, rief Matz, er war völlig aufgekratzt.
Susanne stellte sich vor die Tür und betätigte die Klinke. Die Tür ging auf.
»Ist doch offen!«
Ich konnte es nicht fassen. »Vorhin war sie noch zu.«
»Gundula, du solltest dich ein bisschen ausruhen, das scheint im Moment alles zu viel für dich zu sein.«
Ich rieb meine schmerzenden Schultern, dann schob ich Susanne beiseite und betrat den kleinen Raum. Mein Vater war nicht zu sehen, aber aus dem geöffneten Fensterchen über der Toilette hingen seine Beine.
»Papi! Was machst du da?«
Leise kam seine Stimme: »Hallo! Ilse?«
»Nein. Papi, ich bin’s, Gundula!« Ich packte seine Beine und versuchte ihn wieder reinzuziehen. Er trat nach mir. Ich drehte mich um. Susanne sah mich vorwurfsvoll an.
»Was machst du denn mit ihm?«
»Ich versuche, ihn zurückzuziehen.«
»Aber doch nicht so grob!« Susanne trat vor und berührte die Beine meines Vaters. »Edgar?« Er trat aus. »Autsch.« Sie drehte sich nach mir um. »Er tritt aus. Das ist mir zu riskant.«
Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, dann kam mir eine Idee. Ich schaltete die Gartenbeleuchtung ein und lief nach draußen. Aus dem Toilettenfenster hing der Oberkörper meines Vaters.
Er stöhnte. »Ilse, ein Glück. Ich dachte, ich schaffe es noch, aber jetzt hält sie mich fest.«
»Ich bin’s, Gundula. Wer hält dich fest?«
»Eine Frau. Die hat mir hinter der Tür aufgelauert. Aber ich war schneller.«
Ich spürte einen Stich im Herzen.
»Mach dir keine Sorgen, wir haben die Frau. Die hatte dich mit jemandem verwechselt, sie wollte dir nichts tun.«
»Und die anderen?«
»Die anderen wissen Bescheid.« Ich schluckte die Tränen herunter. Er hatte mich wieder nicht erkannt. Schlimmer, er war vor mir geflohen.
Ich sah zu ihm hoch. Sein Gesicht war von der Anstrengung schweißnass und gerötet. Er keuchte und starrte auf einen imaginären Punkt hinter mir.
»Und jetzt?« Er klang erschöpft.
Plötzlich schob sich eine Erinnerung vor meinen Blick. Mein Vater auf meiner Hochzeit. Wie er mich zum Traualtar führte. Er war ein bisschen kleiner als ich, und ich hatte mich bei ihm untergehakt. Er drückte meine Hand ganz fest und sah mich dann an. Seine Augen waren feucht, als er zu mir sagte: »Mein großes Mädchen. Jetzt muss ich dich wohl gehen lassen. Ich wünsche dir sehr, dass du glücklich wirst.«
So hatte er noch nie zu mir gesprochen, und ich liebte ihn in diesem Augenblick unermesslich.
Sie werden mich für verrückt halten, wenn ich Ihnen sage: Wenn Gerald nicht gewesen wäre und mein Vater nicht mein Vater und noch frei … In dem Moment hätte ich vor lauter Liebe meinen Vater heiraten mögen. Einfach nur, um ihn nie mehr gehen zu lassen.
»Was macht ihr denn da um Himmels willen?« Meine Mutter stand plötzlich neben mir. Wahrscheinlich hatte Susanne sie informiert.
»Papi steckt fest.«
»Ach, Mensch, Gundula, man darf ihn nicht aus den Augen lassen. Wie oft soll ich das denn noch sagen?« Sie wandte sich ihrem Mann zu. »Edgar, was soll der Blödsinn? Komm da raus.«
»Ja, Liebchen, würde ich gern, aber ich stecke fest. Und hinten zieht immer jemand, dabei will ich doch vorne raus.«
»Das sind deine Enkel. Ich hab ihnen gesagt, sie sollen
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