Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition)
sah sie schon auf dem Tisch, die Beinchen in die Luft gestreckt, im Popo ein Petersiliensträußchen (die Enten, nicht die Gäste, obwohl das mal eine interessante Variante wäre).
Ich sah mich vor unseren staunenden Gästen, wie ich mir lächelnd die Küchenschürze abband und sie Gerald in den ungläubig geöffneten Mund stopfte. Das Blaukraut würde ich aus der Dose zaubern, den Kartoffelbrei selbstverständlich selbst stampfen. Der gelang immer.
Die Enten lagen zum Auftauen auf dem Spültisch, aber nachdem Gullivers Nase ihnen mehrmals gefährlich nahe gekommen war, trug ich sie in das Vorratskämmerchen im Keller. Gulliver ist unsere Dogge. Er schafft es mühelos, alle Tische und Arbeitsplatten abzuräumen. Wenn er sich auf die Hinterbeine stellt, kann er mir die Pfoten auf die Schultern legen und über mich hinweggucken. Natürlich soll er das nicht. Also weder das eine noch das andere, aber mit der Erziehung hat es nicht so recht geklappt. Gerald und ich haben oft über richtige Hundeerziehung diskutiert, am Ende ist sie doch auf der Strecke geblieben. Wahrscheinlich haben wir die Diskussionen nur geführt, um mal wieder so richtig miteinander zu streiten. Nach siebenundzwanzig Ehejahren hat man manchmal nicht mal mehr zu einer anständigen Auseinandersetzung Lust. In gewisser Weise hat man ja schon alle Themen durch.
Sie denken jetzt vielleicht, wir führten eine unglückliche Ehe. Ganz so einfach ist es nicht. Wir fühlen uns wohl miteinander, wir sind uns nah. Und wissen wahrscheinlich deshalb so gut, wie wir riskante Gesprächsthemen vermeiden können, bevor die Situation eskaliert: Wir gehen einander dann einfach aus dem Weg.
Das klappt meistens. Ausnahmen wie neulich, als ich das letzte Wort haben wollte, bestätigen leider die Regel. Da musste Gerald dann in die Notaufnahme. Ich hatte ihm den Spaghettitopf hinterhergeschmissen und ihn am Kopf getroffen. Am schlimmsten ist im Nachhinein, dass ich kein Mitleid mit ihm hatte.
Gerald saß auf dem Boden, hielt sich den Kopf und schrie: »Ich blute!«
Ich dachte, das Blut sei Tomatensoße, und konnte mir das Lachen nicht verkneifen, weil er so komisch aussah. Ein paar Nudeln hingen zitternd an seinen Ohren herab.
Seit diesem Zwischenfall reißen wir uns mehr zusammen. Immerhin haben wir die halbe Nacht in der Notaufnahme verbracht, das möchte man auch nicht noch mal erleben. Vielleicht ist Zurückhaltung das Ende jeglicher Leidenschaft, aber wir kennen uns ja auch schon seit der Grundschule. Irgendwann ist eben Schluss mit den großen Gefühlen.
Am Abend des 23. Dezember jedenfalls war ich äußerst optimistisch, was die Bioenten betraf. Ich zauberte eine Riesenportion Kartoffeln mit Dillheringshappen auf den Tisch und war so euphorisch, dass mich nicht mal das einstimmige Maulen meiner Kinder aus der Fassung bringen konnte. »Schon wieder Hering? Das gab’s doch erst vorgestern. Warum immer das Gleiche?« Und so weiter. Ich erwiderte, dass es die letzten Heringshappen vor drei Tagen gegeben habe und heute das Ablaufdatum sei.
»Dann können wir das nicht mehr essen!« Matz riss die Augen auf und starrte in die Heringsschüssel, als hätte ich Blausäure drübergekippt.
»Matz, das Ablaufdatum bedeutet nicht …«
»Mama, entspann dich, ich hab sowieso keinen Hunger«, sagte Ricarda, fünfzehn Jahre jung und trotzdem von großer Lebenserfahrung. Gerald nennt das Pubertät. Für mich ist es ein missglückter Erziehungsversuch. Wie bei Gulliver. Nur schlimmer.
Ricarda schwebte an mir vorbei zum Kühlschrank, nahm sich ein Stück Käse und eine Flasche Cola und verschwand auf ihr Zimmer. Rolfi entrang sich noch ein: »Für mich bitte nur Kartoffeln und Butter, wenn’s geht«, und richtete seinen Blick wieder auf sein iPhone.
Gerald las die Zeitung vom Vortag. Ich glaube, das tat er nur, um sich nicht an Familiengesprächen beteiligen zu müssen. Wenn es ihm überhaupt aufgefallen war, dass er eine alte Zeitung las. Schwamm drüber, ich musste mit meinen Kräften haushalten.
5.
Kapitel
Der 24. Dezember war ein Freitag und der erste Ferientag. Gerald und die Kinder schliefen noch tief und fest, als ich mich um sechs Uhr früh aus dem Bett schälte, um mit den Hunden Gassi zu gehen. Wir haben nämlich neben Gulliver noch Othello. Othello ist ein kleiner schwarzer Rauhaardackel, und man könnte ihn leicht übersehen, wenn er nicht ständig in den höchsten Tönen kläffen würde.
Es regnete in Strömen, und ich war in kürzester Zeit
Weitere Kostenlose Bücher