Tief im Herzen: Roman (German Edition)
zweifelhaft.
Cameron Quinn, der risikofreudige Globetrotter? Wohl kaum.
Also mußte dies Ethan sein, der Fischer. Sie legte ein höfliches Lächeln auf ihr Gesicht und trat vor. »Mr. Quinn.«
Er hob den Kopf. Den Hammer noch in der Hand, drehte er sich zu ihr um. O ja, da war Wut, erkannte sie, heiß und tödlich. Sie war von seinem Gesicht fasziniert. Ein Schuß Indianerblut, spekulierte sie, das wäre die Erklärung für seine hohen Wangenknochen und seine bronzefarbene Haut. Sein Haar war pechschwarz, unordentlich und so lang, daß es ihm bis auf den Kragen fiel. Seine Augen waren alles andere als freundlich, sie ließen an ein heftiges Unwetter denken.
Anna fand diese Mischung unwahrscheinlich sexy. Sie erkannte auf Anhieb den Raufbold und beschloß spontan, bei diesem Mann, welcher der Quinns er auch sein mochte, Vorsicht walten zu lassen.
Er musterte sie eingehend. Sein erster Gedanke war, daß derartige Beine eine bessere Hülle verdienten als einen tristen marineblauen Rock und häßliche schwarze Schuhe. Er vermutete, daß eine Frau, die so große, braune, wunderschöne Augen hatte, vermutlich stets bekam, was sie wollte, ohne ein Wort sagen zu müssen.
Er legte den Hammer hin und stand auf. »Mein Name ist Quinn.«
»Ich heiße Anna Spinelli.« Sie lächelte noch immer, als sie mit ausgestreckter Hand auf ihn zutrat. »Welcher Quinn sind Sie denn?«
»Cameron.« Wegen der Augen und der heiseren, leisen Stimme hatte er mit einer weichen Hand gerechnet, aber sie hatte einen kräftigen Händedruck. »Was kann ich für Sie tun?«
»Man hat mich mit dem Fall Seth DeLauter betraut.«
Sein Interesse verflog. »Seth ist in der Schule.«
»Das will ich doch hoffen. Ich möchte mit Ihnen über den Stand der Dinge sprechen, Mr. Quinn.«
»Mein Bruder Phillip kümmert sich um den Behördenkram.«
»Ist er da?«
»Nein.«
»Nun, wenn ich dann ein wenig von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen könnte. Ich nehme an, Sie leben hier, zumindest vorübergehend?«
»Und wenn?«
Sie schenkte es sich, aufzuseufzen. In ihrem Beruf hatte sie ständig mit Mißtrauen und Vorurteilen zu kämpfen. Früher einmal war es ihr nicht anders ergangen. »Es geht mir nur um Seth, Mr. Quinn. Wir können die Sache jetzt besprechen, oder ich kann dafür sorgen, daß er der Fürsorge übergeben wird.«
»Das wäre ein großer Fehler, Ms. Spinelli. Seth bliebt hier.«
Sie richtete sich gerade auf, als sie hörte, wie er ihren Namen in die Länge zog. »Seth DeLauter ist minderjährig. Über die Adoption, die Ihr Vater beantragt hat, wurde noch nicht entschieden, und es sind Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit des Verfahrens aufgetaucht. Im Moment haben Sie keinerlei gesetzlichen Anspruch auf ihn, Mr. Quinn.«
»Sie wollen sicher nicht, daß ich Ihnen sage, was Sie mit Ihrem gesetzlichen Anspruch machen können, nicht wahr, Ms. Spinelli?« Befriedigt sah er das Aufblitzen in den großen, dunklen Augen. »Das habe ich mir gedacht. Ich kann mich beherrschen. Seth ist mein Bruder.« Das zu sagen, hatte ihn erschöpft. Mit einem Achselzucken wandte er sich ab. »Ich brauche ein Bier.«
Sie stand überrascht da, nachdem die Fliegentür zugefallen war. Im Rahmen ihrer Arbeit gestattete sie es sich aber niemals, die Beherrschung zu verlieren. So atmete sie dreimal tief ein und aus, dann stieg sie die halb reparierten Stufen hinauf und folgte ihm ins Haus.
»Mr. Quinn …«
»Noch da?« Er öffnete eine Bierflasche.
»Wollen Sie auch eins?«
»Nein. Mr. Quinn …«
»Ich mag Sozialarbeiter nicht.«
»Sie scherzen.« Sie wagte es, kokett mit den Wimpern zu klimpern. »Das hätte ich nie vermutet.«
Seine Lippen zuckten, bevor er die Flasche zum Mund führte. »War nicht persönlich gemeint.«
»Natürlich nicht. Ich mag übrigens unhöfliche, arrogante Männer nicht, und das ist auch nicht persönlich gemeint. Also, sind Sie jetzt bereit, mit mir über Seths weiteres Schicksal zu reden, oder soll ich einfach mit den nötigen Papieren und der Polizei wiederkommen?«
Das würde sie fertigbringen, entschied Cam nach erneuter eingehender Musterung. Sie mochte ja ein Gesicht
wie gemalt haben, aber sie ließ sich nicht manipulieren. »Wenn Sie das machen, wird der Kleine ausreißen. Sie würden ihn früher oder später aufgreifen, und er würde im Jugendknast landen – dann wäre es aus und vorbei mit seiner Zukunft. Die Fürsorge wird ihm nicht helfen, Ms. Spinelli.«
»Aber Sie können es?«
»Mag sein.« Er schaute stirnrunzelnd
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