Tief im Herzen: Roman (German Edition)
sein.«
»Gut.« Cam stieg ein und schlug die Tür zu. »Auf die Nase zu zielen, ist gut, aber wenn dich das viele Blut stört, nimm lieber den Bauch. Ein schöner, kräftiger Schlag in die Magengrube aus geringer Distanz läßt nicht so viele Spuren.«
Seth dachte über den Tip nach. »Ich wollte aber Blut sehen.«
»Tja, man trifft im Leben seine Entscheidungen. Ein guter Tag für einen Segeltörn«, meinte Cam, als er den Motor anließ. »Wäre vielleicht keine schlechte Idee.«
»Ja, klar.« Seth zupfte an den Knien seiner Jeans. Cam hatte sich für ihn eingesetzt, dachte er verwirrt, hatte ihm geglaubt, ihn verteidigt und sich auf seine Seite gestellt. Sein Arm tat weh, seine Schultern schmerzten, aber Cam hatte sich auf seine Seite gestellt. »Danke«, murmelte er.
»Kein Problem. Wenn man sich mit einem Quinn anlegt, legt man sich mit allen Quinns an.« Er warf ihm einen Blick zu, als er vom Parkplatz fuhr, und sah, daß Seth ihn anstarrte. »So sieht’s nun mal aus. Wir sollten uns ein paar Hamburger holen, um sie aufs Boot mitzunehmen.«
»Ja, ich könnte auch was essen.« Seth fuhr sich über die Nase. »Hast du mal ’nen Dollar?«
Als Cam lachend Gas gab, war dies einer der schönsten Momente in Seths Leben.
Der Wind kam gleichmäßig aus Südwesten, und der Himmel war klar und von munterem Blau. Ein vollkommener Rahmen für den Reiher, der sich aus dem wogenden Gras über das glitzernde Wasser emporschwang und dann wie ein strahlend weißer Drache herabstürzte, um ein frühes Mittagessen zu sich zu nehmen.
Spontan hatte Cam die Angelausrüstung ins Boot geworfen. Mit ein wenig Glück würden sie zum Abendessen gebratenen Fisch essen.
Seth wußte bereits mehr übers Segeln, als Cam erwartet hatte. Er hätte es sich denken können. Anna hatte ihm gesagt, daß der Junge über eine rasche Auffassungsgabe verfügte,
und Ethan hatte ihn sicherlich mit der üblichen Geduld und Gründlichkeit unterwiesen.
Als er sah, wie mühelos Seth mit den Leinen umging, überließ er es ihm, sich um den Klüver zu kümmern. Die Segel blähten sich im Wind, und Cam legte ein zügiges Tempo vor.
Gott, hatte ihm das gefehlt. Das schnelle Dahineilen, die Kraft, die Kontrolle. Es durchströmte ihn, reinigte seinen Kopf von Sorgen, Verpflichtungen, Enttäuschungen, sogar Kummer. Unten Wasser, oben der Himmel, und seine Hände am Steuer, die den Wind lockten, ihn herausforderten, ihn dazu brachten, mehr zu geben.
Hinter ihm grinste Seth und unterdrückte gerade noch einen Freudenschrei. So schnell war er noch nie dahingeflogen. Ray war immer langsam und gleichmäßig gesegelt, bei Ethan kam er nicht aus der Arbeit und dem Staunen heraus. Aber dies war das reine, wilde Abenteuer, sie hoben und senkten sich mit den Wellen, schossen wie eine lange, weiße Kanone dahin. Der Wind riß ihm fast die Mütze vom Kopf, deshalb drehte er den Schirm nach hinten, damit die Brise ihm kein Schnippchen schlagen konnte.
Sie glitten an der Küste entlang, passierten den Hafen, das Herz von St. Chris, bevor sie schließlich an Tempo verloren. Im Hafen lag ein alter Kutter vor Anker, der nicht mehr benutzt wurde, ein Symbol des Lebens für die Küstenbewohner.
Die Männer und Frauen, die in der Bucht arbeiteten, brachten den täglichen Fang ein. Zu dieser Jahreszeit Flundern und Meeresforellen, und …
»Welches Datum haben wir?« wollte Cam wissen und blickte über seine Schulter nach hinten.
»Muß der 31. sein.« Seth schob seine große Sonnenbrille nach oben und starrte zum Hafen hinüber. Er hoffte, Grace zu sehen. Er wollte jemandem zuwinken, den er kannte.
»Morgen beginnt die Krebssaison. Verdammt heiß. Ich garantiere dir, daß Ethan einen Schwung der schönsten
Exemplare mitbringen wird. Wir werden tafeln wie die Könige. Du magst doch Krebse, oder?«
»Weiß nicht.«
»Wie meinst du das?« Cam riß die Lasche von einer Coladose und trank. »Hast du noch nie Krebs gegessen?«
»Nein.«
»Dann solltest du dich aber schleunigst auf ungeahnte Gaumenfreuden vorbereiten, Kleiner, denn morgen werden sie auf unserem Speisezettel stehen.«
Seth machte es Cam nach und nahm sich ebenfalls eine Dose. »Nichts, was du kochst, ist eine Gaumenfreude.«
Er sagte es mit einem Lächeln, das erwidert wurde. »Krebse kann ich gut zubereiten. Ist nichts dabei. Kochendes Wasser, Gewürze, dann wirft man die scherenklappernden Ungeheuer in den Kochtopf …«
»Lebendig?«
»Es geht nicht anders.«
»Das ist krank.«
Cam
Weitere Kostenlose Bücher