Tief im Herzen: Roman (German Edition)
wiederaufnehmen konnte … Er mußte es wieder aufnehmen, redete er sich zu. Er konnte nicht ewig diese Verantwortung tragen. Es konnte nicht von ihm erwartet werden, daß er für immer dieses Leben führte. Er mußte fort von hier, Rennen fahren, Risiken eingehen.
Sobald sie alles unter Kontrolle hatten, sobald alles getan war, was sie für den Kleinen tun mußten, und sobald das Geschäft lief, das Ethan vorschwebte, wäre er wieder frei, könnte nach Belieben kommen und gehen.
Noch ein paar Monate, vielleicht auch ein Jahr, beschloß er, dann würde er seine Zelte abbrechen. Mehr Einsatz konnte man unmöglich von ihm verlangen.
9. Kapitel
Mrs. Moorefield betrachtete die drei Männer, die in ihrem Büro vor ihr standen. Sie unterschieden sich in ihrer Kleidung sehr voneinander. Einer trug einen eleganten grauen Anzug und einen perfekt gebundenen Schlips, der zweite ein schwarzes Shirt und Jeans, und der dritte eine verschossene Khakihose und ein zerknittertes Arbeitshemd aus Jeansstoff. Alle drei wirkten sehr entschlossen auf sie.
»Ich kann mir denken, daß Sie viel zu tun haben. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie heute morgen alle drei gekommen sind.«
»Wir wollen die Sache regeln, Mrs. Moorefield.« Phillip lächelte, um Verhandlungsbereitschaft zu zeigen. »Seth muß zur Schule gehen können.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Nachdem Seth uns gestern den Vorfall geschildert hatte, habe ich Nachforschungen angestellt. Es scheint so, als hätte Robert den Zwischenfall verursacht. Sein Motiv ist noch fraglich. Die Frage, ob Geld von ihm erpreßt werden sollte …«
Cam hob die Hand. »Seth, hast du diesem Robert gesagt, er solle dir einen Dollar geben?«
»Nein.« Seth steckte die Daumen in die Hosentaschen, wie er es bei Cam gesehen hatte. »Ich brauche sein Geld nicht. Ich spreche ja nicht mal mit ihm, es sei denn, er nervt mich.«
Cam wandte sich wieder an Mrs. Moorefield. »Seth sagt, er hätte in dem Test eine Eins geschrieben, während Robert durchgefallen sei. Trifft das zu?«
Die Direktorin faltete die Hände auf dem Schreibtisch. »Ja. Die Tests wurden gestern kurz vor Ende der Stunde zurückgegeben, und Seth hatte die beste Arbeit abgeliefert. Also …«
»Mir scheint«, unterbrach Ethan mit ruhiger Stimme, »daß Seth Ihnen die Wahrheit gesagt hat. Verzeihen Sie, Ma’am, aber nachdem Robert in einem Punkt gelogen hat, könnte er auch in allen anderen Punkten gelogen haben. Seth sagt, der Junge habe ihn als erster angegriffen, und das trifft zu. Er sagte ferner, es sei um den Test gegangen, also gehe ich davon aus, daß auch das zutrifft.«
»Das habe ich in Betracht gezogen, und ich teile Ihre Ansicht, Mr. Quinn. Ich habe mit Roberts Mutter gesprochen. Ihr ist der Vorfall nicht weniger unangenehm als Ihnen, ebenso wie die Tatsache, daß beide Jungen vom Unterricht ausgeschlossen werden sollen.«
»Sie werden Seth nicht ausschließen.« Cam baute sich breitbeinig vor ihr auf. »Nicht wegen dieser Sache. Es gibt sonst Ärger.«
»Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist. Es gab aber eine Schlägerei. Physische Gewalt kann hier nicht geduldet werden.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Mrs. Moorefield.« Phillip legte eine Hand auf Cams Arm, um ihn zurückzuhalten. »Doch Seth wurde körperlich und verbal angegriffen. Er hat sich verteidigt. Während der Pause hätte ein Lehrer im Korridor Aufsicht führen müssen. Ihn hätte er um Schutz bitten können. Warum war niemand da, der ihm zur Seite gestanden wäre?«
Mrs. Moorefield war diese Frage unangenehm. »Ein berechtigter Einwand, Mr. Quinn. Ich werde Ihnen nichts von Etatkürzungen vorjammern, aber da wir zu wenig Lehrer haben, ist es unmöglich, die Kinder umfassend zu beaufsichtigen.«
»Ich verstehe Ihr Problem, aber Seth sollte nicht dafür bezahlen müssen.«
»Wir haben in jüngster Vergangenheit eine harte Zeit durchgemacht«, warf Ethan ein. »Ich glaube nicht, daß es dem Jungen hilft, wenn Sie ihn für ein paar Tage vom Unterricht ausschließen. Bildung soll doch mehr sein, als nur das Pauken von Lehrstoff. So hat man es uns zumindest beigebracht. Sie soll dazu beitragen, den Charakter zu festigen und den Kindern Hinweise zu geben, wie sie es in der Welt zu etwas bringen können. Wenn aber Kinder hinausgeworfen werden, weil sie sich behauptet haben, dann stimmt an dem Schulsystem etwas nicht.«
»Sie erlegen ihm die gleiche Strafe auf wie dem Jungen, der ihn angegriffen hat«, sagte Cam. »Sie signalisieren ihm, daß kein großer
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