Tief im Herzen: Roman (German Edition)
ging es mir auch besser.«
»Lassen Sie uns folgendes tun.« Jetzt berührte er sie doch, legte eine Hand auf ihre. »Wir lassen diese Frage erst einmal offen. Warten wir ab, wie die Dinge sich entwickeln … in jeder Beziehung.«
»Abwarten, wie die Dinge sich entwickeln.« Sie seufzte, war zu müde, um zu streiten. Ihr Kopf schmerzte, und ihr Körper fühlte sich zerbrechlich und leer an. »In Ordnung, aber in meinem Bericht werde ich trotzdem therapeutische Hilfe empfehlen.«
»Vergessen Sie die Schuhe nicht«, sagte er trocken und war ungeheuer erleichtert, als sie lachte.
»Die brauche ich nicht zu erwähnen, da ich weiß, daß Sie ihn bis zum Wochenende durch sämtliche Geschäfte geschleift haben werden.«
»Wir könnten einen Kompromiß schließen. In letzter Zeit scheint mir das immer besser zu gelingen.«
»Dann müssen Sie vorher unvorstellbar stur gewesen sein.«
»Ich glaube, das Wort, das meine Eltern benutzten, war ›dickköpfig‹.«
»Es tut gut, verstanden zu werden.« Sie blickte auf seine Hand, die noch auf ihrer lag. »Wenn Sie mich bitten würden, bleiben zu dürfen, könnte ich nicht nein sagen.«
»Ich möchte gern bleiben. Ich will dich. Aber heute abend kann ich nicht darum bitten. Es ist ein in jeder Hinsicht ungünstiger Zeitpunkt.«
Sie wußte, wie manche Männer einer Frau gegenüber empfanden, die Opfer eines Sexualdelikts geworden waren. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Aber es war besser, Bescheid zu wissen. »Liegt es daran, daß ich vergewaltigt wurde?«
Das durfte er so nicht stehenlassen. Er durfte nicht zulassen, daß das, was ihr zugestoßen war, zwischen ihnen stand. »Es liegt daran, daß Sie heute abend nicht nein sagen können, Sie es aber morgen vielleicht bereuen würden.«
Überrascht blickte sie zu ihm auf. »Sie verhalten sich immer anders, als ich es erwarte.«
Auch Cam wunderte sich über seine Reaktionen in letzter Zeit. »Diese Sache zwischen uns, wie auch immer sie sich entwickelt, ist anders als sonst. Wie wär’s mit einer Verabredung Samstag abend?«
»Am Samstag bin ich schon verabredet.« Sie lächelte. »Aber ich werde absagen.«
»Sieben Uhr.« Er beugte sich zu ihr hinüber und küßte sie. Einmal, zweimal. »Ich will das hier zu Ende bringen.«
»Ich auch.«
»Nun ja.« Er stieß einen Seufzer aus und ging zur Tür. »Das wird mir die Heimfahrt erleichtern.« Er drehte sich noch einmal zu ihr um. »Sie sagten, Sie hätten überlebt, Anna, aber das stimmt nicht ganz. Sie haben gesiegt. Alles an Ihnen zeugt von Mut und Kraft.« Als sie ihn verblüfft ansah, lächelte er. »Diese Eigenschaften haben weder der Sozialarbeiter noch der Therapeut Ihnen geschenkt. Die haben Ihnen lediglich geholfen, Ihre Stärken zu entwickeln.
Ich denke, diese Eigenschaften haben Sie von Ihrer Mutter. Sie muß eine tolle Frau gewesen sein.«
»Ja, das war sie«, murmelte Anna, erneut den Tränen nahe.
»So wie Sie.« Leise schloß Cam die Tür hinter sich.
Für die Heimfahrt ließ er sich Zeit. Er mußte über vieles nachdenken.
11. Kapitel
Ein schöner Samstagmorgen im Frühling war nicht dazu gemacht, im Haus zu hocken oder sich auf überfüllten Straßen herumzutreiben. Für Ethan gab es nur eins: aufs Meer rauszufahren. Die Vorstellung, einen Einkaufsbummel zu machen ja, einen Einkaufsbummel –, jagte ihm beinahe Angst ein.
»Ich begreife nicht, warum wir alle dabeisein müssen.«
Da Cam als erster am Jeep angelangt war, nahm er vorn Platz. Er wandte den Kopf, um seinem Bruder einen bösen Blick zuzuwerfen. »Weil wir alle in einem Boot sitzen. Die alte Claremont-Scheune ist zu vermieten, ja? Wir brauchen Platz, wenn wir Boote bauen wollen.«
»Irrsinn«, sagte Phillip nur, als er in die Market Street von St. Chris einbog.
»Man kann ja wohl schlecht eine Werkstatt einrichten, wenn man keine geeigneten Räumlichkeiten hat«, erwiderte Cam. Diesem Gedanken schien in seinen Augen eine unumstößliche Logik innezuwohnen. »Also sehen wir uns das Gebäude gemeinsam an, einigen uns mit Claremont und legen los.«
»Konzessionen, Steuern, Materialbeschaffung. Bestellungen, um Himmels willen«, begann Phillip aufzuzählen, »Werkzeug, Reklame, Telefonleitungen, Faxanschlüsse, Buchführung.«
»Dann kümmere dich darum.« Cam zuckte gleichgültig
mit den Schultern. »Sobald wir den Mietvertrag unterschrieben und Schuhe für den Kleinen besorgt haben, kannst du tun, was immer als nächstes auf dem Plan steht.«
»Ich soll das machen?«
Weitere Kostenlose Bücher