Tief im Herzen: Roman (German Edition)
würdigen.«
»Das nächste Mal fährst du. Außerdem hatte ich ein Auge auf dieses Gebäude am Wasser geworfen. Wir haben es uns angesehen, bevor wir zum Einkaufszentrum fuhren. Es wird seinen Zweck erfüllen.«
»Welchen Zweck?«
»Das Geschäft. Bootsbau.«
Anna legte ihre Gabel hin. »Es ist dir ernst damit?«
»Völlig ernst. Und das Haus ist richtig. Wir müssen ein bißchen Arbeit reinstecken, aber die Miete ist erschwinglich. Wir haben den Vermieter dazu gebracht, die meisten notwendigen Reparaturen zu bezahlen.«
»Ihr wollt Boote bauen?«
»So komme ich aus dem Haus und treibe mich nicht auf den Straßen herum.« Als sie sein Lächeln nicht erwiderte, zuckte er mit einer Schulter. »Ja, ich glaube, da könnte ich
mich reinknien. Vorläufig jedenfalls. Den ersten Kunden haben wir bereits, Ethan hat das organisiert.«
»Ich nehme an, ihr habt den Mietvertrag schon unterschrieben.«
»Richtig. Warum es auf die lange Bank schieben?«
»Andere würden mit mehr Vorsicht, mit mehr Überlegung an so ein Vorhaben rangehen, sich mehr Zeit für die Details nehmen.«
»Vorsicht und Überlegungen überlasse ich Ethan, die Details Phillip. Sollte es nicht klappen, haben wir nur ein paar Dollar und ein wenig Zeit verloren.«
Eigenartig, wie gut dieses empfindliche Temperament zu seinem dunklen, abweisenden Äußeren paßte, dachte sie. »Und falls es doch klappt?« fragte sie. »Hast du mal daran gedacht?«
»Wie meinst du das?«
»Falls es klappen sollte, hast du noch eine weitere Verpflichtung übernommen. Es wird langsam zur Gewohnheit.« Sie lachte über seine ärgerliche und überraschte Miene. »Es wird lustig sein, dich in sechs Monaten mal danach zu fragen.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen flüchtigen Kuß. »Wie wär’s mit Nachtisch?«
Das Unbehagen, das er bei dem Wort ›Verpflichtung‹ spürte, verflog, als ihre Lippen seine streiften. »Was hast du denn da?«
»Cannoli«, sagte sie, als sie ihren Teller auf den Boden stellte.
»Klingt gut.«
»Oder …« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, streifte sie ihren Morgenmantel von den Schultern. »Mich.«
»Klingt noch besser«, meinte er und ließ es zu, daß sie ihn an sich zog.
Es war kurz nach drei, als Seth den Wagen in der Einfahrt hörte. Er hatte zwar geschlafen, aber heftig geträumt. Schlimme Träume, in denen er sich wieder in einem dieser stinkenden Zimmer befand, deren Wände fleckig waren
und dünner als Zeichenpapier und durch die jeder Laut drang.
Sexgeräusche – Ächzen, Grunzen und knarrende Matratzen –, das gemeine Lachen seiner Mutter, wenn sie mit Koks zugedröhnt war. Ihm brach jedesmal der Schweiß aus, wenn er diese Träume hatte. Manchmal war sie zu ihm gekommen, wenn er auf dem muffigen Sofa Trost und Schlaf gesucht hatte. Wenn sie in guter Stimmung gewesen war, hatte sie gelacht und ihn fest an sich gedrückt, bis er keine Luft mehr bekommen hatte. Sie hatte ihn aus einem unruhigen Schlaf zu den Gerüchen und Geräuschen der Welt zurückgeholt, in die sie ihn geschleppt hatte.
Hatte sie schlechte Laune, dann hatte sie geschimpft, hatte ihn geschlagen und sich schließlich auf den Fußboden gesetzt und hysterisch geweint.
Beides hatte für eine weitere elende Nacht gesorgt.
Aber schlimmer noch, hundertmal schlimmer war es gewesen, wenn einer der Männer, mit denen sie ins Bett gegangen war, sich ins Zimmer gestohlen und ihn berührt hatte.
Es war nicht oft passiert, und wenn er dann schreiend und um sich schlagend erwacht war, hatte sie das vertrieben. Aber die Furcht in ihm war ständig gegenwärtig gewesen. Er hatte sich angewöhnt, hinter dem Sofa auf dem Fußboden zu schlafen, wenn sie einen Mann bei sich gehabt hatte.
Aber dieses Mal war Seth nicht aus einem Alptraum erwacht, um noch Schlimmeres vorzufinden. Er schüttelte ihn ab und fand sich auf sauberen Laken wieder, neben sich ein zusammengerollter, schnarchender Welpe. Er weinte ein bißchen, weil er allein war. Dann schmiegte er sich noch enger an Foolish, war getröstet von dessen weichen Fell und gleichmäßigen Herzschlag. Das Geräusch des herankommenden Wagens hielt ihn jedoch davon ab, wieder einzuschlafen.
Sein erster Gedanke war Cops! Sie waren gekommen,
um ihn abzuholen, ihn gewaltsam fortzubringen. Dann sagte er sich, daß er sich wie ein Kleinkind verhielt, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug. Trotzdem stieg er aus dem Bett und tappte geräuschlos zum Fenster, um hinauszusehen. Er hatte sich schon ein Versteck
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