Tief im Herzen: Roman (German Edition)
Baltimore sein muß. Mehr kann ich nicht tun.«
Cam überlegte. »Gut. Ich habe kein Problem damit. Aber an den Wochenenden wirst du herumgescheucht.«
Sechs Monate lang, dachte Phillip, vielleicht mehr oder auch weniger. Dann atmete er tief durch. »Du hast Seth bei deinen Plänen außen vor gelassen.«
»Was ist mit ihm? Er wird hierbleiben, hier leben.«
»Und wenn du weg bist, Um in Monte Carlo Rekorde und Frauenherzen zu brechen?«
Mit finsterer Miene schlug Cam den Hammer härter als nötig auf den Kopf eines Nagels. »Er will ja wohl nicht die ganze Zeit in meiner Tasche stecken. Ihr werdet ja hier sein, wenn ich unterwegs bin. Um den Kleinen wird sich schon jemand kümmern.«
»Und wenn die Mutter zurückkommt? Bisher hat man sie nicht finden können. Mir wäre wohler, wenn wir wüßten, wo sie ist und was sie im Schilde führt.«
»Ich denke nicht mehr an sie. Sie ist nicht mehr im Spiel.« Es darf sich nichts ändern, dachte Cam, als er sich an den ängstlichen Ausdruck auf Seths wachsbleichem Gesicht erinnerte. »Sie wird sich nicht mit uns anlegen.«
»Ich wüßte trotzdem gern, wo sie steckt«, beharrte Phillip, »und was zum Teufel sie Dad bedeutet hat.«
Cam verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf. Es war seine Art, offene Fragen zu verdrängen. Das anstehende Problem in seinen Augen war, das Gebäude instandzusetzen, die Ausrüstung, Werkzeug und Materialien zu besorgen. Wenn das Geschäft erfolgreich sein sollte, dann mußten sie sich intensiv darum kümmern.
Mit jedem Tag, an dem er an der Scheune arbeitete,
kam er seiner Freiheit einen Tag näher. Jeder Dollar, den er in Material und Ausrüstung steckte, war eine Investition in die Zukunft. Seine Zukunft.
Er hielt sein Versprechen, sagte er sich. Auf seine Art.
In der prallen Sonne löste Cam zerbrochene Schindeln vom Dach, um den Kopf hatte er sich ein verschossenes blaues Halstuch gebunden. Ethan und Phillip arbeiteten hinter ihm. Seth schien es großen Spaß zu machen, die ausgemusterten Schindeln vom Dach auf den Boden zu werfen. Unten bildete sich bereits ein ansehnlicher Haufen.
Es war cool auf dem Dach, fand Seth. Oben in der prallen Sonne zu stehen und hin und wieder eine Möwe vorbeifliegen zu sehen, das gefiel ihm. Von oben hatte er einen guten Überblick über die Stadt mit ihren geraden Straßen und viereckigen Hinterhöfen. Er sah alte Bäume und viele Blumen, die ihm allerdings von oben wie bunte Kleckse erschienen. Das Geräusch eines Rasenmähers drang zu ihm herauf wie ein fernes Summen. Seth konnte das Ufer erkennen, die Boote, die im Hafen lagen oder auf dem Wasser kreuzten. Er sah Kinder auf einem kleinen Boot mit blauen Segeln, und er beneidete sie darum. Da gingen Menschen einkaufen, spazieren oder aßen im Freien unter Sonnenschirmen zu Mittag.
Er wünschte, er hätte das Fernglas dabei, das er von Ray geschenkt bekommen hatte, um noch weiter sehen zu können. Er wünschte, er könnte irgendwann einmal hier oben mit seinem Skizzenheft sitzen.
Alles sah so … so sauber aus: das Blau des Himmels und des Wassers, das Grün der Gräser und der Blätter. Er konnte das Wasser riechen, wenn man kräftig schnupperte – und briet da nicht jemand Hot dogs?
Bei diesem Duft knurrte sein Magen vor Hunger. Er drehte sich ein wenig und schaute aus den Augenwinkeln zu Cam. Mann, er wünschte, er hätte solche Muskeln. Mit solchen Muskeln konnte man alles schaffen, niemand konnte einen aufhalten. Wenn ein Mann solche Muskeln
hatte, dann brauchte er sich nie mehr zu fürchten, vor keinem Menschen, nie mehr in seinem ganzen Leben.
Als er seinen eigenen Bizeps betastete, war er alles andere als zufrieden. Wenn er erst Werkzeug benutzte, würden seine Muskel vielleicht härten, überlegte er.
»Du hast gesagt, ich könnte auch Schindeln abnehmen«, erinnerte er Cam.
»Später.«
»Das hast du vorhin auch gesagt.«
»Dann sage ich es eben noch mal.« Es war eine schweißtreibende, häßliche, lästige Arbeit, und Cam wollte sie unbedingt hinter sich bringen. Er hatte bereits sein durchgeschwitztes T-Shirt ausgezogen. Sein Rücken glänzte feucht, und seine Kehle war knochentrocken. Er stemmte die nächste Schindel los und sah zu, wie Seth sie hoch in die Luft warf. »Du wirfst sie immer auf dieselbe Stelle.«
»Das hast du mir doch so gesagt.«
Er musterte den Jungen. Seths Haar lugte wirr unter der Orioles-Mütze hervor, die Cam ihm gekauft hatte, als sie in der vergangenen Woche zu einem Spiel gefahren waren.
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