Tief im Hochwald - Kriminalroman
sich zurück und dachte nach. »Im Grunde genommen gibt es nichts, was sich über Hellersberg groß zu erzählen lohnt. Wir haben in letzter Zeit durch den Bau des Ruwer-Hunsrück-Radwegs einen gewissen Aufschwung erlebt. Es kommen mehr Menschen hier durch als früher, die gern eine Kleinigkeit essen oder trinken möchten. Man hat einiges investiert, um die Leute in den Ort zu locken, aber es sind immer noch keine Massen, die bei uns ihr Geld lassen. Mal der ein oder andere Übernachtungsgast, wie gesagt mehr als früher, aber Hellersberg ist immer noch eher ein verschlafenes Nest. Wir sind aber auch nicht böse drum, wenn wir unter uns sind. Hier kennt jeder jeden, das ist uns ganz recht so.«
»Und Sie sind schon in Hellersberg geboren?«, fragte Vanessa, als Ruth mit ihrem Salat an den Tisch trat: Unter einer dicken Schicht aus Zwiebeln und Champignons ließ sich ein Stück Roastbeef von der Größe eines ordentlichen Steaks erahnen, daneben ein üppiger Salat aus verschiedenen grünen Salaten, Möhren, Gurken, Eierscheiben …
»Roastbeefstreifen?«, brachte Vanessa fast sprachlos hervor.
»Na klar, ich habe Ihnen das Roastbeefstück extra in Streifen geschnitten.«
»Guten Appetit«, grinste Hajo die verblüffte Städterin an und pulte sich mit einem Zahnstocher ein Stück Sauerkraut aus den Zähnen.
»Hoffentlich sind die Kleider Ihrer Frau groß genug, dass ich auch nach dem wirklich ausgezeichneten Essen hineinpasse.« Vanessa strich sich über einen unsichtbaren Bauch. »So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen, vor allem nicht für den Preis. In Trier hätte man für das Geld gerade mal das Grünzeug bekommen.« Zufrieden strahlte sie Hajo an. »Ich hätte besser das Leitungswasser genommen, selbst wenig Kohlensäure füllt den Magen zu viel. Wollen wir fahren? Ich hole nur eben meinen Laptop und mein Portemonnaie von oben.«
Ruth winkte von der Theke zu ihnen herüber. »Ich schreib es Ihnen auf die Zimmerrechnung, kein Problem.«
»Woher wusste sie …?«
»Sie hat mitgehört«, erklärte Hajo mit entwaffnender Ehrlichkeit.
Wenig später zwängte sich Hajo in Vanessas babyblauen fünfhunderter Fiat. »Hätten Sie mir vorher gesagt, dass Ihr Auto mir wie ein Kondom passt, wäre ich besser zu Fuß gelaufen«, presste er hervor.
»Das liegt nur am guten Essen, vorher hätten Sie noch reingepasst. Heute ist es selbst für mich zu eng«, parierte die schlanke Vanessa.
Zum Glück war es mit dem Auto nicht weit zu Hajos Hof. Sie parkten in der gepflasterten Einfahrt und gingen durch das große Tor ins Haus. Er roch ein wenig nach Männerhaushalt: ein bisschen zu sehr nach Alkohol, ungesundem Essen und Schweiß und zu wenig nach frischer Luft, aber alles in allem war es relativ sauber und ordentlich. Sie gingen direkt nach oben in ein hübsch eingerichtetes Schlafzimmer. Hajo öffnete die Türen eines großen Bauernschrankes und zeigte auf ordentlich gefüllte Schrankfächer, in denen die Oberteile nach Farben sortiert waren, Röcke rechts und Hosen links hingen, daneben Jacken, Wintermäntel und Kleider. Neben dem Bauernschrank stand ein circa halb so hoher Schuhschrank; Hajo öffnete ihn und zeigte auf ordentlich aufgereihte Schuhe.
»Bitte sehen Sie sich um. Möglicherweise ist manches dabei, was Ihnen passt. Dann müssen Sie nicht in Ihre Wohnung fahren. War es eine schlimme Trennung?« Mitfühlend sah er sie an.
Vanessa traten die Tränen in die Augen bei dieser ehrlichen Anteilnahme, und obwohl sie gar nicht darüber sprechen wollte, antwortete sie: »Ich lebe seit drei Jahren mit meinem Chef zusammen, was beruflich schon schwierig genug ist. Und vorgestern hat er mir mitgeteilt, dass er nach sechs Jahren wieder zu seiner Exfrau zurückkehren möchte. Sie haben eine behinderte Tochter, und er hält es für wichtig, gemeinsam mit seiner Exfrau für das Mädchen zu sorgen. Dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis, aber ich habe es nicht kommen sehen. Seine Exfrau war ebenfalls eine Kollegin und noch dazu sehr beliebt in der Trierer Kriminaldirektion. Sie ist wegen ihrer Tochter zu Hause geblieben, und als er und ich zusammengekommen sind, musste ich mir viele dumme Sprüche von den Kollegen anhören. Inzwischen scheint es so, als hätten einige mit ihren Kommentaren gar nicht so unrecht gehabt. Ich war nur eine Ablenkung. Und da bei ihr gerade irgendetwas renoviert wird, kann er im Moment nicht zu ihr ziehen, sondern blockiert unsere gemeinsame Wohnung, wo ich ihm beim besten
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