Tief im Hochwald - Kriminalroman
daraufhin in Schweigen und deckte gedankenverloren den Tisch.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Hajo und ging ins Haus zurück. Als er wiederkam, trug er einen Weidenkorb am Arm, in den er neben zwei Löffeln und warmen Socken drei Paar Schuhe gelegt hatte, die für den Hochwald geeignet zu sein schienen, darunter ein Paar flache schwarze Schuhe, die elegant unter einer schwarzen Hose aussehen würden, aber auch gut zu einer sportlichen Kombination zu tragen wären. Außerdem hatte Hajo ihr ein Paar grobe beige Schuhe gebracht, mit denen Vanessa sich auf den Felsenweg wagen könnte. Zuoberst lag ein Paar dunkelblaue Gartenclogs aus Kunststoff.
»Die dürften für das feuchte Gras besser geeignet sein als Ihre Schuhe«, sagte Hajo und reichte ihr den Korb. »Umgezogen haben Sie sich ja noch immer nicht, ich habe mal eine Decke mitgebracht. Aber erst einmal möchte ich Ihnen zeigen, was Jonas gefunden hat, bevor Sie sich wieder an die Kleidersuche machen können.«
Vanessa schmolz bei so viel Fürsorge fast dahin. Dieser Mann könnte vom Alter her ihr Vater sein und benahm sich erfreulicherweise auch wie ein Vater und nicht so, als sei sie Freiwild, nur weil sie ihm erzählt hatte, dass ihre Beziehung gerade gescheitert war. Sie fühlte sich sicher und geborgen und zum ersten Mal seit zwei Tagen entspannt. Zögerlich wandte sie sich ihrem Computer zu, der schon in den Ruhemodus gefahren war.
»Also, Herr Nert, was möchten Sie mir zeigen?«
»Ich bin der Hajo. Herr Nert sagt fast nie jemand zu mir, dabei komme ich mir immer ganz seltsam vor. Und ehrlich gesagt kann ich Ihren Namen gar nicht aussprechen. Können wir uns da nicht auch auf etwas anderes einigen?«
In einem anderen Zusammenhang wäre ihr diese Aussage sicherlich plump vorgekommen, aber bei Hajo klang es einfach nur ehrlich und aufrichtig.
»Ich bin Vanessa, freut mich, Hajo.«
»So, und jetzt lassen Sie mich mal ins Internet, der Jonas wollte mir eine E-Mail schreiben.«
Als Hajo seine Mails aufgerufen hatte, drehte er den Laptop so, dass sie gemeinsam lesen konnten:
Lieber Opa,
es war schön, mal wieder deine Stimme zu hören. Ich vermisse dich!
Also, ich habe mal in die Caches gesehen und eine interessante Entdeckung gemacht: Du hast erzählt, der Mord letzte Woche sei im Hellersberger Forst passiert. Ich habe mir anhand deiner Beschreibung einmal alle Caches im Hochwald angesehen und habe entdeckt, dass dort auch ein Cache lag. Er war gerade neu gelegt worden, es wäre ein FTF gewesen.
Vanessa zeigte auf die Abkürzung. »Was bedeutet FTF ?«
»›First to find.‹ Jemand hatte den Cache ganz neu gelegt. Der Erste, der einen solchen Cache findet, darf stolz darauf sein, sich als Erster eintragen zu können. Außerdem winkt ihm häufig eine Belohnung, manchmal ein Essensgutschein, manchmal eine besondere Kleinigkeit, die er sich aus der Dose nehmen kann. Es ist ein besonderer Reiz, einen Cache zu finden, den zuvor niemand gefunden hat. Aus den Kommentaren der anderen Cacher kann man häufig schon Hinweise herauslesen, beispielsweise, ob man in einem Bach suchen muss oder eher in einem Baum oder so. Aber der Erste hat keinerlei Hilfe und ist auf sich allein gestellt. Das spornt schon an. Das könnte erklären, warum dieser Mann erst in den Wald gefahren ist, bevor er zur ›Post‹ kommen wollte.«
Sie wandten sich wieder der Mail zu.
Sieh dir selbst einmal die Cachebeschreibung an. Nach dem Mord haben sich zwei Leute beschwert, dass die Dose nicht da sei, wo sie laut Beschreibung hätte sein sollen. Danach hat jemand den Cache archiviert.
»Das bedeutet was?«, bat Vanessa erneut um Aufklärung.
»Der Cache ist nach wie vor als Beschreibung im Netz, aber er ist nicht länger verfügbar. Das wird gemacht, wenn etwas zerstört wurde oder auch nur, wenn der Cacheowner, also derjenige, der den Cache gelegt hast, sich einige Zeit nicht um den Cache kümmern kann.«
»Kannst du feststellen, ob es beide Male der gleiche Cacheowner war?«
»Dazu können wir uns gern beide Caches ansehen, aber da das Jonas leichterfällt als mir, lesen wir doch erst einmal, was er schon herausgefunden hat.«
Ich habe mir auch den anderen Cache am Saar-Hunsrück-Steig angesehen. Der war auch noch ganz neu, aber zwei Leute haben schon geloggt, es wäre demnach kein FTF gewesen. Vielleicht könnt ihr die Leute ausfindig machen. Schreib sie einfach mal an und lass dir mal den Cache schildern. Die Logs geben nicht viel her. Aber sieh dir das doch selbst an. Ich
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