Tief im Hochwald - Kriminalroman
worauf du hinausmöchtest. Hast du ein Problem damit, dass ich zu einer Frau ein bisschen nett bin?«
Anhand der Miene des Pastors konnte Hajo erkennen, dass dieser sich ertappt fühlte.
»Josef, das ist nicht dein Ernst. Dieses Mädel könnte meine Tochter sein, allein das macht sie schon mal zu einem Tabu. Außerdem habe ich ihr nur ein paar Kleidungsstücke von Katharina zur Verfügung gestellt, weil sie zurzeit nicht nach Hause kann oder möchte. Und mir tut es gut, dass ich seit Langem endlich mal wieder etwas Sinnvolles zu tun habe. Jonas fehlt mir, mein Viez ist fertig, die Äpfel sind verarbeitet, und ich freue mich über eine Aufgabe, bei der auch mein Kopf einmal etwas zu tun bekommt.« Er leerte sein Glas und kramte seine Geldbörse hervor, um zu bezahlen. Er war wirklich wütend auf seinen Freund.
»Aber deine Katharina ist gerade mal seit einem knappen Jahr tot –«
»Lass Katharina aus dem Spiel! Sie hätte bestimmt gewollt, dass wir der armen Frau helfen. Aus Rücksicht auf die veralteten Moralvorstellungen im Ort habe ich ihr schon kein Zimmer bei mir zu Hause angeboten, obwohl ich mich gefreut hätte, heute Abend mein Bier nicht in der Kneipe trinken zu müssen, sondern in angenehmer Atmosphäre zu Hause. Du hast ein Leben lang allein gefrühstückt, aber ich lege Wert auf die Gesellschaft anderer. Gute Nacht!« Verärgert knallte Hajo eine Handvoll Kleingeld auf den Tisch und ging nach Hause.
VIER
Als Hajo gegen halb neun am nächsten Morgen in einer ausgebeulten Schlafanzughose und einem verschossenen Doppelripp-Unterhemd am Küchentisch saß und auf einer Scheibe Schwarzbrot mit Apfelgelee kaute, sah er vor seinem Haus den kleinen babyblauen Fiat halten. Die makellosen Beine schälten sich aus dem Auto, Vanessa war wieder nur mit ihrem kurzen Kleidchen bekleidet und trug ihre hohen Schuhe.
Hajo überlegte, ob er so tun sollte, als sei er noch nicht wach, doch dann dachte er sich, dass sie zwei erwachsene Menschen waren und Vanessa sicher kein Problem damit haben würde, einen alten Mann im Schlafanzug zu sehen. Er füllte einen zweiten Becher Kaffee, öffnete die Haustür und hielt ihn Vanessa am ausgestreckten Arm entgegen.
»Frühstück, Frau Kommissarin«, begrüßte er sie lächelnd.
»Ich bin zu früh, tut mir leid, aber ich konnte nicht schlafen. Frau Eiden war gar nicht glücklich, als ich schon so früh nach dem Frühstück gefragt habe. Offensichtlich hätte sie gern erst selbst gefrühstückt und die Zeitung gelesen. Das Frühstück, das es daraufhin gab, war so lieblos angerichtet, dass ich gar keinen Appetit mehr hatte. Und so hat auch ihr Kaffee geschmeckt. Ich nehme gern eine Tasse.« Sie hatte die Schuhe abgestreift und setzte sich auf die Bank ohne Rückenlehne, wobei sie die verfrorenen Füße aneinanderrieb.
»Die Hose ist gestern am Tatort schmutzig geworden, und ich habe sie ausgewaschen. Da es in meinem Zimmer aber eiskalt ist, war die Hose heute Morgen noch feucht. Daher blieb mir nichts anderes als meine Städterkluft«, erläuterte Vanessa ihren Aufzug.
»Geh ruhig nach oben und zieh dir etwas Warmes an, ich ziehe mich auch mal um und mache uns ein bisschen Frühstück«, schlug Hajo vor.
Zwanzig Minuten später war das Haus erfüllt vom Duft nach Rührei und Speck. Getoastetes Graubrot mit Griebenschmalz und Möhren- und Kohlrabistücke mit einem Kräuterquarkdip standen auf dem Tisch. Hajo trug eine saubere Jeans, ein kariertes Hemd und Hosenträger, als Vanessa im hellblauen Kaschmir-Twinset mit dunkelblauer Hose und den flachen schwarzen Schuhen die geräumige Küche betrat.
»Männerfrühstück«, meinte Hajo leicht verlegen. »Das Brot ist schon älter, aber getoastet schmeckt es noch immer gut. Und so ein kräftiges Frühstück ist ein guter Start in den Tag. Wenn du lieber Apfelgelee magst, Ursula versorgt mich da immer bestens. Ich selbst mag das Zeug gar nicht so sehr, aber ich hatte noch ein Glas offen. Aber irgendwann kommt Jonas wieder, und der könnte sterben für Apfelgelee.«
»Danke, das ist genau das Richtige für heute. Ich bin wunschlos glücklich, so bin ich schon lange nicht mehr verwöhnt worden.« Vanessa setzte sich wieder auf die Bank und langte kräftig zu. Zwischen zwei Bissen kramte sie in ihrer Handtasche und zog ein Blatt Papier hervor. »Ich war heute Morgen schon auf dem Revier und habe meine Mails abgefragt. Ich habe dir eine Mail von Jonas ausgedruckt und meinen eigenen Rechner mitgebracht, damit wir weiterarbeiten können.
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