Tief im Hochwald - Kriminalroman
solches nicht vertraut, und Hajo traute sich den Gang selbst nicht recht zu, weil er wusste, welche Stelle ihr gemeinsames Ziel war. Daher kamen sie nur sehr langsam voran. Am Teufelsfelsen machten sie halt, um sich ächzend auf die Schaukel fallen zu lassen und den Blick über das Tal zu genießen. An der Kneippanlage legten sie eine weitere Pause ein, kühlten sich die Unterarme und setzten sich kurz vor die Hütte, um zu verschnaufen. Als sie am Grenzweg angekommen waren, wurde der Weg endlich eben, und sie kamen zügiger voran. Schon von Weitem sahen sie das rot-weiße Absperrband. Der Stein, der den Kopf des Toten zertrümmert hatte, war von der Spurensicherung konfisziert worden, somit fehlte die erwähnte Höhenangabe, die der Cacher im Internet vermisst hatte. Hajo hatte bereits vor einigen Minuten sein Navigationsgerät eingeschaltet und blickte immer wieder auf das Display.
»Wir haben Glück, manchmal hat man im Wald fast gar keinen Empfang, aber hier geht es gut, vermutlich, weil wir uns an der höchsten Stelle befinden. Ob der Cache darum hier oben liegt?«
Am Wegrand lagen die drei Steine mit der Aufschrift »Felsenweg – höchster – Punkt«. Zielsicher ging Hajo auf das Gebüsch dahinter zu, bückte sich und bog einige Äste und Zweige zurück. Vanessa sah, wie er unter einer Wurzel, gut verdeckt von Steinen und Blättern, eine Brotdose hervorholte.
»Nein, nicht anfassen, du könntest Fingerabdrücke verwischen«, schrie Vanessa entsetzt, aber Hajo hatte die Dose schon in der Hand und wischte gerade mit seinem Jackenärmel Schmutz vom Deckel.
Triumphierend hielt Hajo die Dose in die Höhe.
»Hajo, nein, die Fingerabdrücke«, rief Vanessa, woraufhin er die Dose sofort fallen ließ. Sie sprang auf, und ihr Inhalt verteilte sich über den Waldboden.
»Wir brauchen Handschuhe und Beweissicherungsbeutel, bitte«, wandte sich Vanessa an Landscheid.
»Es ist Wochenende, so was habe ich heute nicht bei mir. Was machen wir denn da?«
Vanessa glaubte, einem Herzanfall nahe zu sein. Sie kramte in ihrer Hosentasche und zog das blumenbestickte Taschentuch hervor, von dem sie bisher lediglich eine Ecke benutzt hatte. Damit konnte sie die wenigen Teile, die sich in der Dose befunden hatten – ein Geduldsspiel aus Holz sowie ein Kreisel aus Kunststoff, das Logbuch in Form eines kleinen Vokabelheftes und ein Bleistift –, wieder einsammeln und in die Dose zurücklegen. Auf der Dose klebte ein Zettel mit der Aufschrift: »Offizieller Geocache. Bitte nicht entfernen. Diese Dose ist Bestandteil eines Spiels. Für mehr Details: www.opencaching.de«.
Hajo hatte ein frisches großes kariertes Taschentuch aus seiner Tasche gezogen und hielt es Vanessa schuldbewusst entgegen.
»Tut mir leid, da ist mein Eifer möglicherweise zu weit gegangen. Wenn du mit der Spurensicherung fertig bist, kann ich das Logbuch danach bitte haben, um mich einzutragen?«
Vanessa wickelte die Dose in Hajos Taschentuch, steckte beides in die weiten Taschen der Steppjacke und sah sich abermals um. Dabei entdeckte sie noch etwas, das aussah wie eine Visitenkarte und ins Laub gerutscht war. Auf einem kleinen Zettel, den jemand laminiert hatte, stand: »Berechne aus der Höhenangabe d=a*b-c.«
Sie hob den Zettel auf und hielt ihn Hajo hin.
»Was würdest du daraus lesen?«, erkundigte sie sich ein wenig hilflos.
»Es ist nicht normal, dass man bei einem Traditional eine Aufgabe in der Dose findet. Bei manchen Multis findet man zwischendurch Dosen, in denen sich Aufgaben befinden, die man lösen muss, um die nächste Koordinate zu bekommen. Warum es hier so etwas gibt, kann ich mir nicht erklären, aber ich würde sagen, die Formel bezieht sich auf die Höhenangabe, auf die fünfhundertfünfundachtzig Meter, demnach ist das Ergebnis fünfunddreißig.«
Vanessa sah ihn verständnislos an.
»Na, beim Cachen geht es meistens um das Errechnen von Koordinaten. Und da steht sozusagen fünfunddreißig, also fünf mal acht minus fünf.«
»Hajo, ich weiß bislang nicht, was das zu bedeuten hat, aber ich glaube, du hast uns gerade erheblich weitergeholfen.«
Vanessa packte auch den Zettel in die Dose und wandte sich an ihren Kollegen.
»Herr Landscheid, ich möchte gern den anderen Tatort sehen, vielleicht findet Herr Nert dort ebenfalls wichtige Hinweise, die Sie sich bislang nicht erklären konnten.«
»Sind Sie schwindelfrei?«, fragte Landscheid und wandte sich zum Gehen.
Eine gute Stunde später standen sie am Hochsitz. Hajo hatte
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