Tief im Hochwald - Kriminalroman
nie herausgekommen. Keiner konnte sich einen Grund für einen Selbstmord vorstellen. Die Freunde, die, als es passiert ist, mit ihm in der Wohnung waren, galten als glaubwürdig, und Spuren von Fremdeinwirkung waren damals nicht zu finden«, erläuterte der Pastor.
»War Udo einer jener Mitschüler, die beim Klassentreffen neulich gefehlt haben? Bei den Befragungen nach dem Klassentreffen ist der Name gefallen.«
»Das dürfte er sein, genau. Die Großmutter ist nie über den Tod ihres einzigen Enkels hinweggekommen. Sie hat mir gesagt, sie habe damals den Glauben verloren.«
Es klingelte abermals an der Tür, und wenig später kam Maria Jungblut mit einer Frau Anfang vierzig herein. Die Frau trug Jeans und Wanderschuhe und hatte eine große Arzttasche bei sich.
»Guten Tag, ich bin Dr. Marlene Schulze-Obersehr aus Hermeskeil. Hat die Frau Jungblut es endlich geschafft«, sagte sie und wandte ihren Blick zum Bett.
»Mein Name ist Vanessa Müller-Laskowski, ich bin von der Mordkommission in Trier«, stellte sich Vanessa vor.
»Mordkommission?«, fragte die Ärztin erstaunt nach und grüßte den Pastor mit einem Nicken.
»Wir sind so unsicher nach den vielen Todesfällen«, gestand Frau Jungblut. Der Pastor legte einen Arm um sie.
»Ist Ihr Mann unten?«, fragte er zaghaft.
»Ja, er sitzt in der Küche und weint sich die Augen aus. Er hat so an seiner Mutter gehangen, er kann diesen Raum gar nicht betreten.«
»Dann setzen wir uns zu ihm und sprechen gemeinsam ein Gebet«, schlug der Pastor vor und führte die Frau, die bei ihren letzten Worten ebenfalls zu weinen begonnen hatte, aus dem Zimmer.
»Er ist ein guter Geistlicher, auch wenn er einen schweren Stand in der Gemeinde hat«, meinte die Ärztin und begann die Tote zu untersuchen.
»Warum hat er es so schwer?«
»Pastor Feldmann war neunundzwanzig Jahre hier im Dienst. Er war einer von ihnen. Pastor Lämmle kommt nicht aus dem Hochwald, er kennt die Menschen in der Region nicht so gut, ihre Beziehungen untereinander, zu ihrer Umgebung und zu ihrer Arbeit. Er macht einen guten Job, aber es wird noch Jahre dauern, bis er Fuß gefasst hat. Außerdem hat er eine viel größere Gemeinde zu betreuen als seinerzeit Pastor Feldmann. Der war nur für Hellersberg zuständig, Pastor Lämmle aber sitzt in Hermeskeil und hat alle umliegenden Gemeinden zu betreuen. Allein die Tatsache, dass er nicht abends mit in der Kneipe sitzt, schafft schon eine gewisse Distanz.«
»Pastor Lämmle hat mir eben erzählt, Frau Jungblut sei nicht in die Gottesdienste von Pastor Feldmann gegangen und habe erst kürzlich wieder zum Glauben gefunden. Anscheinend hat sie den Tod ihres Enkels niemals verwunden. Wissen Sie etwas darüber, was Sie mir erzählen dürfen?«, fragte Vanessa.
»Sie hat ihren Udo so geliebt. Er war ein paar Jahre jünger als ich, aber am Gymnasium hat man eben alle gekannt. Wir haben beide in Aachen studiert, und ich erinnere mich, dass ich ihn zwei- oder dreimal übers Wochenende nach Hellersberg mitgenommen habe, als sein Auto kaputt war. Man kam gar nicht richtig an ihn heran. Er wirkte irgendwie innerlich gebrochen. Sein Tod hat mich damals nicht wirklich überrascht, weil ich den Eindruck hatte, er sei depressiv, habe aber nicht den Mut, sich Hilfe zu suchen.« Die Ärztin fuhr der alten Frau liebevoll durchs Haar, als sie die Untersuchung abgeschlossen hatte, und schloss ihre Tasche. »Frau Jungblut ist vielleicht an gebrochenem Herzen gestorben, aber sonst ging es hier mit rechten Dingen zu. Tut mir leid, dass die Familie Sie gerufen hat, ich habe gehört, Sie haben schon genug Todesfälle zu bearbeiten. Aber Jungbluts haben schon viel mitgemacht, ich kann sie verstehen.«
Damit verließen sie das Zimmer, und Vanessa verabschiedete sich von den Jungbluts und Pastor Lämmle.
»Sieht nach einem natürlichen Tod aus«, sagte Vanessa, als sie wenig später die Wache betrat und ihre Trierer Kollegen begrüßte, die sich zwischenzeitlich wieder dort eingefunden hatten. »Was haben Sie so in der Zwischenzeit herausgefunden, Herr Landscheid?«
Heiner Landscheid blickte vom Computer auf. »Die gute Nachricht gleich vorweg: Franz Schuster hat momentan keinen Führerschein. Alkoholkontrolle außerhalb des Dorfes. Und da er nicht so gern läuft, müssen wir das wohl auch nicht tun.«
»Was soll das heißen?«, fragte Vanessa genervt. »Wir haben keine Zeit für solche Rätsel.«
»Wie Herr Landscheid bereits gesagt hat, war der Schmied momentan nicht sehr
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