Tief im Hochwald - Kriminalroman
müssen erst klären, wie es dazu kommen konnte«, erläuterte Vanessa vorsichtig.
Wie erwartet sprang Hermann Jungblut von seinem Stuhl auf. Der Pastor stand ebenfalls auf, legte ihm beschwichtigend einen Arm um die Schultern und mahnte ihn sanft zur Ruhe.
»Jetzt sagen Sie schon, was passiert ist«, forderte die Schwiegertochter.
Vanessa und der Pastor nickten sich zu. »Wie gesagt, es lag bereits ein Toter im Grab Ihrer Mutter«, antwortete Vanessa. »Während der Trauerfeier wurde einer der Sargträger ermordet, und wir müssen erst die Spuren sichern, bevor wir Ihre Mutter begraben können.«
Frau Jungblut schrie auf und brach in lautes Schluchzen aus. Hermann Jungblut erstarrte mitten in seinen Bewegungen und sackte in sich zusammen, sodass der Pastor ihn stützen musste.
»Nie im Leben kommt meine Mutter in ein Grab, in dem schon ein anderer lag«, rief Hermann Jungblut entschieden.
»Das kann ich gut verstehen, mein Sohn, ich werde mit Herrn Engel sprechen, ob seine Mitarbeiter ein anderes Grab vorbereiten können. Wenn es Herrn Engel möglich ist, würde ich vorschlagen, dass wir die Bestattung morgen nach dem normalen Sonntagsgottesdienst abhalten. Dann sind zwar nicht mehr ganz so viele Leute da wie heute, zumal viele, die heute schon in der Kirche waren, morgen kein zweites Mal kommen werden, aber wir könnten Ihrer Mutter eine würdige Beisetzung verschaffen.«
Vanessa nickte dem Pastor für diesen Vorschlag dankbar zu. Frau Jungblut schien die positiven Aspekte aus diesem Vorschlag herauszuhören, wohingegen ihr Mann anscheinend nur wahrnahm, dass die Leiche seiner Mutter einen weiteren Tag auf ihr Grab würde warten müssen.
Plötzlich stutzte Maria Jungblut. »Engels Sargträger waren doch alle da, da fehlte doch nur der Thomas.«
»Der mit seinem blöden Handy«, spuckte ihr Mann förmlich aus. »Den soll der Teufel holen!«
Hat er doch schon, ging es Vanessa durch den Kopf. Laut sagte sie: »Der Tote im Grab Ihrer Mutter ist Ihr Großneffe Thomas.«
Maria schrie auf, Hermann Jungblut aber schien nicht richtig begriffen zu haben.
Vanessa entschuldigte sich, sie müsse dringend mit den Eltern des Verstorbenen sprechen. Sie bat um das Kondolenzbuch und überließ dem Pastor das weitere Gespräch mit dem Ehepaar Jungblut.
Vanessa würde einen ihrer Trierer Kollegen bitten, sich zusammen mit Landscheid die Einträge im Kondolenzbuch anzusehen, um nachzuprüfen, wer alles am Trauergottesdienst teilgenommen hatte. Gabi Landscheid war im Chor, wahrscheinlich hatte sie von der Empore aus einen guten Überblick gehabt. Landscheid sollte daher dringend mit seiner Frau sprechen. Sie würden alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um herauszufinden, wer bei der Trauerfeier gefehlt hatte. Es kam zwar in einem solchen Dorf nicht selten vor, dass einer den anderen denunzierte, aber ebenso war es möglich, dass man sich gegenseitig ein Alibi gab, wenn man es für richtig hielt. Sie würde sehr vorsichtig vorgehen müssen und war auf die enge Zusammenarbeit mit Landscheid angewiesen.
Hajo hatte ganz vorn gesessen; was die Anwesenheit der anderen Hellersberger anging, konnte er ihnen also kaum weiterhelfen, da er gar nicht die Möglichkeit gehabt hatte, alle zu sehen. Aber Johannes und er hatten in unmittelbarer Nähe zu Thomas Jungblut gesessen, sie würde daher trotzdem mit beiden sprechen müssen.
Als Vanessa die Sakristei verließ, sah sie, wie Heiner Landscheid den Eingang des Friedhofes gegenüber der Presse versperrte und ein weiterer Kollege vor dem Tor eine allgemeine Erklärung abgab, in der vermutlich alles und nichts gesagt wurde, während Bernadette Schubert sich darum kümmerte, dass der Ermordete in den Zinksarg gelegt wurde. Zunächst musste aber die Leiche von Gieselind Jungblut von der Presse unbemerkt durch den hinteren Friedhofsausgang nach Hermeskeil ins Kühlhaus gebracht werden, da der Friedhof in Hellersberg über eine solche Einrichtung nicht verfügte. Anschließend würden die Bestatter noch einmal zurückkommen und Thomas Jungblut nach Trier ins Kühlhaus der Pathologie unter die Argusaugen von Dr. Breuer bringen müssen. Und alles, ohne Aufsehen zu erregen. Vanessa wunderte sich, warum niemand am rückwärtigen Friedhofstor auf der Lauer lag, um Fotos zu schießen oder einen neugierigen Blick zu erhaschen, aber Bernadette Schubert erläuterte ihr breit grinsend, ihr Freund Ingo sei dort draußen mit seinem Dobermann, und sie habe ihn gebeten, niemanden auch nur in die
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