Tief im Hochwald - Kriminalroman
auf die üblichen Reibereien, zu denen es kommt, wenn eine neue Generation einen Traditionsbetrieb übernimmt.«
»Anfangs sah es so aus, als wollte der Mörder keinem Hellersberger was antun. Denkst du, es hat sich etwas in seiner Einstellung geändert? Ist irgendetwas vorgefallen, was seinen Ärger gegen das Dorf ganz akut erregt hat?«, fragte Johannes.
»Am ehesten nachvollziehbar scheint mir der Mord an Frau Ostermann zu sein«, meinte Vanessa.
»Stimmt. Alle haben sie gehasst, ausnahmslos alle«, sagte Johannes.
»Genau darum verstehe ich ja nicht, warum sich ihr irgendjemand anvertraut haben sollte«, wandte Vanessa ein.
»Du kannst nicht nachvollziehen, wie wichtig für einen Drittklässler im Hochwald die Kommunion ist oder zumindest damals war. Die Kommunion ist nicht nur ein Fest, sondern Bestandteil der Zeitrechnung. Man bekommt seinen eigenen Schreibtisch, sein Fahrrad, eine eigene Uhr zur Kommunion und nicht einfach nur im Alter von neun Jahren. Glaube und Kirche hatten einen ganz hohen Stellenwert. Somit war Frau Ostermann nicht nur die katholische Religionslehrerin, sondern eine besondere Respektsperson. Ich kann mir gut vorstellen, dass irgendeiner der Jungs sich ihr anvertraut hat, schließlich hat man ihr als Religionslehrerin in Sachen Kirche sicher nach dem Pastor die meiste Kompetenz zugetraut.«
»Aber würde man nicht zu jemandem gehen, dem man mehr vertraut als der Religionslehrerin?«, fragte Hajo.
»Den Eltern hat sich das Kind vielleicht schon anvertraut«, sagte Johannes. »Die haben ihm nicht geglaubt, es vielleicht sogar bestraft. Und so ein Neunjähriger hat doch sonst noch keine Ansprechpartner für solche Dinge. Elfriede Ostermann wird den Pastor in Schutz genommen haben, ähnlich wie Udos Mutter. Im Stil von: ›Ein Pastor tut das nicht, und einem Jungen passiert das sowieso nicht.‹ Vielleicht war es eine späte Rache, weil sie einen Jungen, der Hilfe gesucht hat, im Stich gelassen hat. Beziehungsweise: Auf ihre verletzende Art wird sie nicht nur nicht geholfen, sondern vermutlich erst richtig zugetreten haben. Das ist das naheliegendste Motiv, das ich erkennen kann. Bei den anderen Opfern fällt mir das schon schwerer.«
»Irgendwie haben diese Morde mit Geocaching zu tun. Der Mörder möchte uns noch etwas Besonderes zeigen. Ich denke, ich werde den Pastor in Schutzhaft nehmen müssen. Ich werde morgen mit meinem Kollegen Gunter sprechen, ob wir nicht sowieso einen Haftbefehl bekommen können, aber wie ich unsere Juristen kenne, brauchen wir erst einmal stichhaltige Beweise, bis wir den Pastor letztlich auch zu seinem eigenen Schutz aus dem Verkehr ziehen können. Heiner Landscheid sollte ich meiner Meinung nach eher außen vor lassen, er könnte dem Pastor alles erzählen. Im schlimmsten Fall könnte der Mörder das mitbekommen und eine Kurzschlusshandlung begehen«, meinte Vanessa.
Hajo und Johannes nickten zustimmend.
»Gibt es einen gebürtigen Hellersberger, der während aller Morde in Hellersberg war, aber sonst nicht?«, fragte Johannes.
»Schuster wurde vermutlich am selben Tag vergiftet, an dem auch Elfriede Ostermann ermordet wurde, also am Kirmessamstag. Bei der Trauerfeier heute waren auch einige, die sicherlich zur Kirmes da waren. Wie du selbst zum Beispiel«, merkte Vanessa an. »Zu den beiden vorherigen Morden sehe ich da aber keine Parallele. Wir müssen alle Fälle erneut unter einem völlig neuen Gesichtspunkt aufrollen. Sagt mal, ihr beiden, wie kamt ihr überhaupt auf die Idee, dass diese Morde etwas mit Pastor Feldmann zu tun haben könnten? Oder wie kamt ihr überhaupt auf das Thema?«
Johannes und Hajo schwiegen eine Weile unschlüssig. Schließlich begann Johannes: »Paps wollte wissen, warum ich damals den Kontakt zu Udo verloren habe. Da fing ich an zu weinen, und ich glaube, so eine Situation hatten wir beide noch nie zusammen erlebt. Darum musste ich ganz vorn anfangen.«
»Es spricht für euch, dass ihr dieses Gespräch überhaupt miteinander führen konntet, wenn auch sehr spät. Mich regt schon die Vorstellung auf. Da möchte man zum Pastor gehen und ihn auf der Stelle verhaften, was wir auch machen werden, sobald sich jemand traut, ihn wegen der Ereignisse in der Vergangenheit anzuzeigen. Dafür wird es nötig sein, mit möglichst vielen Opfern zu sprechen und uns einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Nur aufgrund des bloßen Verdachts oder vager Aussagen, was anderen damals passiert sein könnte, können wir leider
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