Tief im Hochwald - Kriminalroman
können uns noch nach diesem Glas überlegen, wie wir das lösen. Notfalls bringe ich dich mit dem Trecker nach Hause«, bot Hajo an.
»Also ›nach Hause‹ ist wirklich nicht die richtige Bezeichnung für den Gasthof«, wehrte sich Vanessa. »Obwohl ich inzwischen schon so lange da bin, dass ich mir die Bettwäsche selbst sollte aussuchen dürfen. Zu Hause hätte ich bei den Temperaturen jedenfalls Biberbettwäsche und kein Leinen, das ist viel zu kalt, wenn man abends ins Bett geht.«
Es war schon nach Mitternacht, als Vanessa auf ihre hohen Schuhe hinuntersah, die vor der Couch auf dem Teppich lagen. Sie hatte die Beine schon längst untergeschlagen und saß in eine dicke Decke gewickelt in die Sofaecke gekuschelt.
»Zeit zu gehen«, stellte sie übermüdet und leicht beschwipst fest.
»Soll ich dich fahren?«, fragte Johannes, aber Vanessa wollte ihn keinesfalls mehr hinters Steuer lassen, im Gegensatz zu ihr hatte er nicht nur jedes zweite Glas mitgetrunken.
»Wie wäre es, wenn du hierbleibst?«, schlug Hajo vor. »Ich muss sowieso Johannes’ Bett beziehen, ich habe ja nicht geahnt, dass er hier schläft. Ich beziehe dir auch schnell ein Bett, und du schläfst in Katharinas Zimmer.«
»Wieso hattet ihr eigentlich getrennte Schlafzimmer?«, fragte Johannes seinen Vater.
Hajo stutzte anscheinend darüber, dass sein eigener Sohn das nicht wusste.
»Deine Mutter hatte ein sehr empfindliches Gehör, und je dicker ich wurde, desto schlimmer wurde meine Schnarcherei. Solange du zu Hause gewohnt hast, wollten wir nicht getrennt schlafen, damit du nicht den Eindruck bekommst, etwas sei nicht in Ordnung. Aber als du ausgezogen bist, bin ich ins Gästezimmer gezogen und habe deiner Mutter das Schlafzimmer überlassen«, erklärte er.
»Das Dorf wird wieder einen Grund zum Reden haben«, stöhnte Vanessa, aber Hajo beruhigte sie:
»Im Moment haben sie so viel anderes, worüber sie reden können, da spielst du in ihrem Leben wohl eher eine untergeordnete Rolle.«
Vanessa lächelte gequält. »Kann ich ein T-Shirt von dir haben, Hajo? Kaschmir ist ganz schlecht zum Schlafen, glaube ich.«
»Sieh oben in Katharinas Schrank. Da wirst du alles finden, was du brauchst. Und im Bad liegt ein Päckchen neue Zahnbürsten, habe ich gestern erst gekauft, bedien dich ruhig.«
Vanessa umarmte die beiden Männer.
»Danke für euer Vertrauen. Das war sicher kein leichter Abend für euch.«
Sie machte sich bettfertig und schlief umgehend in einem rosa Frotteeschlafanzug mit Blümchen ein.
ZEHN
Als Hajo und Johannes am Morgen in die Küche kamen, lag dort ein Zettel von Vanessa: »Ich kann es mir für meine Glaubwürdigkeit im Ort nicht leisten, bei euch zu frühstücken. Bin in der ›Post‹, vielen Dank, wir sehen uns zur Beerdigung.«
»Warum musste ich so früh Lenny über den Weg laufen statt einer solchen Frau?«, fragte Johannes verschlafen.
»Weil du mit Vanessa nicht deinen wundervollen Sohn bekommen hättest, sondern irgendein anderes Kind. Oder sie hätte Karriere gemacht, und du hättest gar keine Kinder. Also mach dir keine Gedanken um Dinge, die du nicht ändern kannst. Gibt es Probleme mit Lenny?«, fragte Hajo einfühlsam.
»Seit Jonas weg ist, haben wir gar keinen Grund mehr, den Schein zu wahren. Ich habe keine Zweifel daran, dass sie diese Nacht nicht allein verbracht hat. Sie war sicher froh, dass ich nicht nach Hause gekommen bin. Sie braucht nur mein Geld, um dadurch gut leben zu können, mit ihren Schickimicki-Freunden frühstücken und einkaufen zu gehen, in irgendwelche In-Boutiquen zu laufen und am Wochenende auf angesagten Partys mit Typen rumzuhängen, die vielleicht noch mehr Geld haben als ich«, zählte Johannes mit einer gewissen Abgeklärtheit auf. »Es ist wirklich erbärmlich.«
Sie frühstückten und zogen sich abermals die Trauerkleider des Vortages an. Um neun Uhr war die Messe in Hermeskeil, um halb elf in Hellersberg. Sie hatten Glück, dass Pastor Lämmle heute nicht die Messe in Kell oder Holzerath halten musste, sondern ihnen in Hellersberg zur Verfügung stand, obwohl er gestern schon hier gewesen war. Vier Gemeinden zu betreuen war zwar kostengünstig, aber es blieb kaum Zeit für Gemeindearbeit oder um eine engere Beziehung zu seinen Schäfchen aufzubauen.
»Wie begegne ich denn heute Josef Feldmann?«, überlegte Hajo laut.
»Wir dürfen ihn auf keinen Fall warnen, bevor Vanessa ihn angesprochen hat. Aber ich denke, das wird sie so bald als möglich erledigen. Wir
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