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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Rotwein, zwei große Gläser waren zur Hälfte gefüllt. Rubinrote Flüssigkeit reflektierte das Licht einer Kerze.
    »Wenn wir die leeren«, sagte Anou mit vollem Mund, »wovon ich ausgehe, werde ich hier schlafen müssen.«

    Nele schaffte ihr erstes Lächeln seit dem Unfall. »Was anderes hätte ich auch nicht gewollt.«
    Anou beugte sich zu ihr herüber und strich ihr mit einer zärtlichen Bewegung die noch leicht feuchten und eine Nuance dunkler als sonst schimmernden blonden Haare aus der Stirn. Unter dem Haaransatz befand sich eine rot leuchtende Schramme. »Und … willst du darüber reden?«
    Nele nickte, lehnte ihre Wange gegen die Hand ihrer Freundin, schloss kurz die Augen. »Wenn du die Einzelheiten ertragen kannst.«
    »Hey, Süße... wenn es dir hilft, kann ich alles ertragen.«
    Also sprach Nele Karminter darüber, wie sie den Feuerlöscher einem Mann in die Hand gedrückt hatte, damit er auf den qualmenden Motorraum aufpasste. Wie sie die Fahrertür des zerstörten Wagens aufgerissen und sich dabei den Unterarm aufgeschnitten hatte. Die Fahrerin, eine Frau in ihrem Alter, war ohne Bewusstsein, überall war Blut, die Schneidezähne der jungen Frau lagen in ihrem Schoss, das linke Ohr baumelte an einem Stück Haut und fiel ab, als Nele die Frau aus dem Wagen zog. Die inneren Verletzungen waren sicher noch viel schlimmer, und es war nicht ungefährlich, sie zu bewegen, doch der Mann mit dem Feuerlöscher schrie, dass gleich alles explodieren würde. Was blieb ihr also übrig? Sie beugte sich über die Frau, um an das Gurtschloss zu gelangen. Dabei musste sie zwangsläufig bis auf ein paar Zentimeter an den Beifahrer heran. Ein älterer Herr, vielleicht der Vater des Mädchens. Ihm konnte keiner mehr helfen. Seine Augen waren weit aufgerissen, der Blick gebrochen. Der harte Stahl des Aufliegers hatte sich tief in den Wagen geschoben und dem Mann den Schädel gespalten. Alles, was darin gewesen war, hatte sich über Sitz, Schoß und Fußraum ergossen. Nur eine Sekunde lang hatte
Nele hingesehen, und doch hatte sich der Anblick in ihr Bewusstsein eingebrannt wie ein äußerst genaues Foto. Viel zu lange dauerte es, den verdammten Gurt aus dem Schloss zu lösen. Draußen schrie der Mann abermals und sprühte mit dem Feuerlöscher. Durch das zerstörte Fenster der Beifahrertür lief der Diesel des LKW-Tanks in den Innenraum des PKW. Nele zerrte und riss, bekam den Gurt schließlich los und hievte die Frau aus dem Sitz. Dabei stürzte sie nach hinten, schlug sich den Kopf an, prellte sich das Gesäß, robbte trotzdem rückwärts, die leblose Frau zwischen den Beinen, zerrte und schrie und beeilte sich, von dem Wagen wegzukommen. Flammen züngelten unter dem Motorraum. Der Mann warf den Feuerlöscher weg, kam herüber und half ihr, die Frau aus der Gefahrenzone zu bringen. Der Wagen explodierte nicht. Bevor es dazu kam, war der Fahrer des LKW mit einem viel größeren Feuerlöscher heran und löschte die Flammen.
    Das war es.
    Die Fakten.
    Nele war erstaunt, wie schnell sich erzählen ließ, was sie so aus der Bahn warf.
    Aber zwischen Fakten und Gefühlen gab es eben gravierende Unterschiede. Das wusste auch Anou. Sie hatten beide während ihrer Arbeit beim Dezernat für Vermisste viel Hässliches gesehen, abgehärtet waren sie jedoch längst nicht. Vielleicht würden sie es auch nie sein. Die Frage war, ob das gut oder schlecht war, ob sie den Job auf Dauer machen konnten, wenn sie sich nicht einen harten Panzer zulegten, so einen, wie ihn die älteren männlichen Kollegen zur Schau trugen. Lässigkeit, Arroganz, Coolness, Härte – alles nur Wörter für diesen Panzer, der die eigene Seele schützen sollte.

    Anou nahm ihre Freundin in den Arm, zog sie zu sich heran und strich ihr über den Rücken. Nele weinte wieder. Leise liefen die Tränen ihre Wangen hinab und versickerten in Anouschkas Shirt.
    »Ist ja vorbei«, flüsterte sie, nicht ahnend, wie unrecht sie damit hatte.
    Es begann erst.
     
    Als sie erwachte, war sie umgeben von ekelhaftem Geruch. Noch in ihrem Traum hatte sie die weichen, nach Ringelblumencreme duftenden Hände ihrer Mutter an ihren Wangen gespürt, so wie sie sie damals im Krankenhaus immer angefasst hatte, wenn Jasmin in Tränen ausgebrochen war. Von diesem Duft und dem tröstlichen Gefühl ihrer Hände war nichts mehr da. Jetzt stank es nach Fäulnis, in ihrem Mund war ein eklig schmeckender, pelziger Belag, ihre Kehle fühlte sich rau und unangenehm trocken an, ihr Kopf schien

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