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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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sie hatte ihn doch getroffen. Hoffnung flackerte in Nele auf. Vielleicht würde er zusammenbrechen, irgendwo hier unten, tief unter der Erde. Nele würde ihn sterben lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ja, würde sie das wirklich? Würde sie, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzte, um einen Menschen aus einem brennenden Auto zu ziehen, dieses Monster hier unten verrecken lassen? Tim Sieberts Anblick blitzte vor ihr auf, die aufgeschnittene Kehle, die leblosen Augen, dann Anou, schwer verletzt und tief gedemütigt, vielleicht gezeichnet für den Rest ihres Lebens. Ja! Sie würde ihn hier sterben lassen, denn nichts anderes hatte er verdient!
    Sie folgte der Spur. Der Gang wurde bald enger und niedriger. Auch hatte sie den Eindruck, dass die Dunkelheit hier irgendwie … fester wurde, so als sei sie eine Masse. Täuschte sie sich, oder vermochte die Taschenlampe längst nicht mehr so weit zu leuchten?
    Nele bekämpfte ihre Angst und ging weiter.
    Plötzlich huschte weiter vorn, dort wo es schummrig war, etwas von rechts nach links über den Gang. Ohne Zögern riss Nele die Waffe hoch und gab einen Schuss ab. Sofort jaulte etwas mit hoher Geschwindigkeit durch den Gang.

    Querschläger!
    Nele ließ sich zu Boden fallen. Über sich spürte sie das abgeprallte Geschoß hinwegfegen. Der Lärm des Schusses war in der engen Röhre infernalisch und betäubte ihre Ohren. Unmittelbar fing es darin laut zu fiepen an. Mit etwas Pech hatte sie sich gerade ein Knalltrauma eingehandelt.
    Schmauchgeruch füllte den Gang.
    Nele stand auf, ging langsam weiter, die Augen hin und her huschend, erreichte die Stelle, an der sie die Bewegung wahrgenommen hatte und verharrte. Ihr Herz raste, ihr Atem kam stoßweise und wollte sich nicht kontrollieren lassen. Sie befand sich an einer T-Kreuzung. Deutlich konnte sie in der gegenüberliegenden Betonmauer die Stelle sehen, an der das Geschoß abgeprallt war.
    Hatte er das beabsichtigt?
    Nele leuchtete abwechselnd in beide Richtungen. Die Gänge waren leer. Ihr kamen jetzt Zweifel, ob es richtig war, ihn hier unten zu verfolgen, noch dazu allein. Er kannte sich hier aus, sie nicht. Es würde für ihn ein Leichtes sein, sie in einen Hinterhalt zu locken. Durfte sie dieses Risiko eingehen?
    Auf zitternden Beinen stand Nele unschlüssig da und zielte abwechselnd in die beiden Gänge. Plötzlich überkam sie eine tiefgreifende Angst. Alle Organe in ihrem Inneren schienen sich zusammenzuziehen, die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, und sie hatte das starke Bedürfnis, sich zu verkriechen. Sich ein Loch zu suchen, eine Ecke, irgendetwas, worin sie die Angst und das Böse nicht finden würden.
    Langsam rückwärtsgehend tastete sie sich von der Kreuzung zurück in den Gang, aus dem sie gekommen war. Dabei zielte sie weiterhin mit der Waffe nach vorn. Was geschah
hier mit ihr? Ließ sie sich von der Dunkelheit erschrecken?
    Nein, es war nicht die Dunkelheit. Vielmehr schien das unsagbar Böse, das in Karel Murow hauste, auch diese Gänge auszufüllen. Nele sah ein, dass sie ihm hier unterlegen war, dass er sie töten würde, wenn sie ihn weiterhin verfolgte. Sie wollte ihn auf keinen Fall entkommen lassen, aber ebenso wenig wollte sie hier sterben und Anou allein lassen.
    Verflucht!
    Sie würden ihn später finden. Er konnte ja nicht weit kommen. Das Risiko war jetzt zu groß. Von irgendwo weit hinten rief plötzlich Hendrik nach ihr.
    Das war für Nele wie ein Startsignal. Sie drehte sich um und begann zu laufen. Flüchtete, lief weg vor diesem Untier, und wusste schon jetzt, dass sie es später bereuen würde. Sie würde sich wie ein Feigling fühlen, zu Recht, doch in diesem Augenblick war ihr das egal. Nele wollte nur noch raus hier.
    Die Wände schienen immer näher zusammenzurücken, die Decke drückte auf ihren Schädel. Sie begann zu keuchen, rannte schneller, stieß immer wieder mit den Schultern gegen die Wände, schürfte sich die rechte Wange auf. In ihrem Rücken spürte sie ihn, fühlte, wie seine Hand nach ihr griff und sie gleich packen würde. Weiter, schneller, nicht innehalten, nicht umdrehen.

Sechs Tage später
    In Krankenhausbetten sehen Menschen klein, verloren und zum Tode verurteilt aus. Krankenhausbetten sind für diejenigen, die nicht darin liegen, ein deprimierender Anblick, selbst wenn sie leer sind. Automatisch stellt sich dann die Frage, ob gerade jemand darin gestorben ist.
    Anouschka Rossberg war nicht gestorben. Sie war aber auch nicht weit davon entfernt

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